Schweinegrippe, Neues Insolvenzrecht, Konjunktur & Grenzen der Religionsfreiheit

Geld her oder Schweinegrippe! Der Versuch des Spitzenverbandes gesetzlicher Krankenkassen, der Politik das Messer auf die Brust zu setzen, ist durchsichtig und perfide. Durchsichtig, weil die Kassen die erste und schlechteste Möglichkeit nutzen, die Bundesregierung unter Druck zu setzen, um mehr Geld zu kassieren. Perfide, weil bei dieser dreisten Erpressung mit Ängsten der Menschen gespielt wird. Zu Recht verweist das Gesundheitsministerium auf die Überschüsse der Kassen in Millionenhöhe. Leipziger Volkszeitung (Print)

Krankenkassen – Erpressung nach Rezept. Die Krankenkassen wollen die Verunsicherung der Menschen ausnutzen und die Beiträge erhöhen. Die Politik sollte sich nicht darauf einlassen. Financial Times Deutschland

Die Krankenkassen wollen im Wahlkampf eine Debatte über Zusatzbeiträge entfachen. Das ist ihr gutes Recht, aber man sollte es ihnen nicht durchgehen lassen. Denn die Schweinegrippe ist vor allem ein neuer Vorwand, den ungeliebten Wettbewerb zu vermeiden. FAZ

Wenn die Krankenkassen Zusatzbeiträge erheben, dann nicht wegen der Schweinegrippe. Die gesetzlichen Versicherungen stehen auch ohne die Belastung durch die Impf-Aktion vor einem deutlichen Minus. Frankfurter Rundschau

Verschwörungstheorien, bei den Vorsorgeplänen gehe es allein um ein Konjunkturprogramm für die Pharmaindustrie, entbehren jeder Grundlage. Mögen die bisher erkrankten Deutschen auch nach einiger Zeit wieder genesen sein: Grund für Entwarnung ist das nicht. Schweriner Volkszeitung

Krankheitswellen hat es immer schon gegeben. Dass die Krankenkassen grundsätzlich dafür aufkommen müssen, ist logisch, weil es schlichtweg ihre Aufgabe ist. Die Argumentation der Funktionäre, dass die Schweinegrippe nun extra anfällt, ohne auf die bisherigen Kostenplanungen für den Gesundheitsfonds Rücksicht zu nehmen, ist dabei völlig unerheblich, gar abenteuerlich. Lausitzer Rundschau

Neues Insolvenzrecht

Wirtschaftsminister zu Guttenberg will marode Banken unter Zwangsverwaltung stellen. Aber keiner weiß, nach welchen Kriterien und mit welchem Personal das funktionieren soll. Handelsblatt. Aber die Pläne von Wirtschafts- und Justizministerium entzweien die Banken Handelsblatt

Aktionäre verlieren ihre Stimme, Vorstände notfalls ihren Job: Nach einem Gesetzentwurf des Wirtschaftsministers bekäme der Staat bei taumelnden Banken weitreichende Rechte. Über allem steht das Motto: nie wieder HRE. Financial Times Deutschland

Schon Monate vor dem Bankencrash wusste die staatliche Aufsicht um die schwierige bis katastrophale Situation der Bank, deren Geschäftsmodell schlicht nicht krisentauglich war. Auch dem Finanzministerium und seinem Ressortchef hätte die Dramatik bewusst sein können und müssen. Den Bankenaufsehern aber, so sagte es ihr Chef, seien die Hände gebunden gewesen: Die Gesetze hätten ein frühes Eingreifen nicht erlaubt, die Katastrophe musste sich erst entfalten. Genau hier setzt zu Guttenberg mit seinem Verordnungsentwurf an. Berliner Zeitung

Klingt ja gar nicht schlecht. Bloß: Es ist die originäre Aufgabe der vielhundertköpfigen Bankenaufseher beim Bafin und bei der Bundesbank, die Geldinstitute von Anfang an und ständig zu kontrollieren – um eben diesen Ernstfall rechtzeitig zu erkennen und zu verhindern. Dafür sind sie nicht auf freundliches Entgegenkommen der Bankenvorstände angewiesen, sondern haben einen Werkzeugkasten zur Verfügung, mit dem sie Banken und ihre Vorstände beizeiten und schmerzhaft in die Zange nehmen können. Wirtschaftswoche

Eine Pleite muss für systemrelevante Institute eine Option bleiben, denn die Insolvenz ist ein Kernelement auch der sozialen Marktwirtschaft. Süddeutsche Zeitung

Guttenberg vertritt treu die Haltung der Union und verhindert, dass der Staat mit Steuergeldern sanierte Banken gewinnbringend verkaufen kann. taz

Das Gezerre um die Hypo Real Estate hat gezeigt, dass die Entscheidung zwischen Verstaatlichung und damit einhergehender Aktionärsenteignung einerseits sowie einer Insolvenz mit möglicherweise verheerenden Folgen für das Bankensystem andererseits eher einer Wahl zwischen Pest und Cholera gleicht. Mit dem Plan, angeschlagene Banken frühzeitig an die staatliche Kandare zu nehmen, geht zu Guttenberg einen dritten Weg. Nordwestzeitung

Da ist es sinnvoll, ein Gesetz zu verabschieden, das für Zwangsverwaltung von Not leidenden Instituten sorgt. Und nicht nur für einen Einzelfall bestimmt ist. Damit der Staat nicht nur zahlt, sondern wirklich Einfluss hat. Wenn das funktionieren soll, muss die Bundesregierung allerdings noch einmal Geld in die Hand nehmen: Denn die vom Wirtschaftsminister dazu auserkorene Finanzaufsicht BaFin ist dafür bisher schlicht zu klein. Märkische Oderzeitung

Konjunktur

Der ökonomische Weltuntergang ist abgesagt. Erleichtert nimmt die Industrie zur Kenntnis, wie sich der Auftragseingang erholt, wenngleich das Niveau nach wie vor deprimierend niedrig ist. FAZ

Ist ein schöner Traum wahr geworden? Ganz so ist es nicht, zumindest aber scheint ein Albtraum mit dem Namen „Rezession“ langsam zu Ende zu gehen. Denn im vergangenen Jahr ist die Wirtschaft dermaßen abgestürzt, dass es irgendwann wieder aufwärts gehen musste. Dazu haben auch die weltweiten Konjunkturprogramme beigetragen. Sie beflügeln die Nachfrage nach Gütern wie Maschinen und Fahrzeugen. Davon profitiert Deutschland als Exportweltmeister besonders. Nun mag man Konjunkturprogramme als Erholung auf Pump betrachten. WAZ (Print)

Deutschland bleibt Spielball des Auslands. Der Export zieht wieder an, aber schafft kein nachhaltiges Wachstum. Denn wenn die Wirkung der Konjunkturpakete nachlässt, gibt es wieder einen Dämpfer. Handelsblatt

Große Autos, globales Wachstum auf Pump, übertriebene Lohnzurückhaltung im Inland und jenseits aller Vernunft gehebelte Geldinstitute – das alles sind die Stichworte der Vergangenheit, mit der sich die Zukunft nicht gewinnen lässt. Deshalb: Wer nach den ersten erfreulichen Konjunktursignalen schnell wieder in den alten Trott verfallen will, begeht einen fürchterlichen Fehler. NRZ

Grenzen der Religionsfreiheit

Ob Karneval oder Sexualkunde: Das Verfassungsgericht in Karlsruhe stellt zu Recht das Gesetz über den Glauben. Der Tagesspiegel

Die Religionsfreiheit ist grundgesetzlich geschützt, also ein ganz besonders hohes Gut. Aber auch sie hat Grenzen und darf zum Beispiel nicht dazu führen, dass streng gläubige Eltern, egal ob Christen, Muslime oder andere ihre Kinder in einer Parallelwelt aufwachsen lassen. NRZ

Ein Projekt gegen sexuellen Missbrauch deuteten Eltern als mögliche Anleitung zur Pädophilie um. Es ist verständlich, dass Schulverwaltung und Verfassungsrichter nicht bei jeder Schrulle von streng religiösen Eltern die Augen zu drücken wollen. Kölner Stadt-Anzeiger

Ein Urteil gegen die Verblendung. In der Vergangenheit haben viele Schulen im Konfliktfall Muslima von diesen Unterrichtsfächern befreit. Das beginnt sich zu ändern. Das Bundesverfassungsgericht hat den Konflikt zwischen Eltern und Schule richtig entschieden Frankfurter Rundschau

Es wäre um eine Gesellschaft, die sich immer heterogener entwickelt und in der die Bindekräfte von Institutionen oder Vereinen nachlassen, schlecht bestellt, wenn Minderheiten aufgrund einer religiösen Überzeugung den gemeinsamen Schulunterricht sprengen. Nürnberger Zeitung

… one more thing!

Unbalanced Germany Europe’s champion is justly proud of its exporters. It also needs to worry about markets closer to home Economist

Leitartikel

Zuerst war der Fußball und dann kam die Frau. Ich habe diesen Satz nie geschrieben. Aber es ist so. Gut Fußball zu spielen war immer mein Traum. Fußball war männlich sein. Eine Penélope Cruz hat da nichts zu suchen. Ich gucke Stuttgart–Wolfsburg. Ich gucke Fußball, ich bin ein Mann BILD

Ein Jahr nach dem Krieg im Kaukasus ist immer noch keine Ruhe eingekehrt: Georgien und Südossetien beschuldigen jeweils die andere Seite, beschossen worden zu sein. Anhaltende Kriegsangst überdeckt eben innenpolitische Schwierigkeiten. FAZ

Moskaus imperiale Gelüste. Ein Jahr nach dem Georgien-Krieg feiert der Kreml seinen Sieg als gerecht. Zu viel Eigenlob, denn Russland spielt weiter Imperium. Nicht zuletzt im Interesse seiner Gasgeschäfte. Frankfurter Rundschau

Der Westen muss zu Georgien stehen, ein Jahr nach dem Krieg im Kaukasus. Die Welt

Putin polarisiert. Er ist kein demokrat, aber auch kein Diktator, ein Nationalist, aber kein Imperator. Vielleicht hätten sich ein paar Konflikte in dieser Weltgegend vermeiden lassen, wenn er nicht ausgerechnet auf George W. Bush getroffen wäre. Entgegen früherer Zusagen drängte Bush auf die Ausweitung der NATO bis an Russlands Grenzen, setzte mit den Plänen für einen Raketenschild nicht nur das Verhältnis zu Russland aufs Spiel, sondern auch die Stabilität Europas. Süddeutsche Zeitung (Print)

Formal korrekt – nur die Gerechtigkeit bleibt auf der Strecke, der Münchner Justiz-Skandal AZ München

Teure Zeiten für die Telekom. Die Erfolgsgeschichten des Konzerns könnten in Zukunft richtig viel Geld kosten – vor allem im Ausland. Trotzdem ist die Strategie des Konzerns richtig. Financial Times Deutschland

Gov’t Health Care Kills Granny Dead! The conservative strategy to derail Obama’s reform plan sounds crazy—but it just might work. Mother Jones

The Town Hall Mob New York Times

America’s unjust sex laws. An ever harsher approach is doing more harm than good, but it is being copied around the world. Economist