Schwarz-gelbe Koalition, Steuerpolitik, Justiz und das deutsch-türkische Verhältnis

Kohl war es in seinen Zeiten gelungen, die Meinungsverschiedenheiten zwischen seinen beiden kleinen Koalitionspartnern zu begrenzen. Auf ruhige, wirksame Weise nahm er Einfluss. […] Die Konflikte waren für die Koalitionsarbeit und deren Klima erträglich, weil sich dann bloß (wenn auch durchaus hochrangige) Fachleute stritten – und das auch noch zum gegenseitigen Nutzen. In der zweiten Regierung Angela Merkels aber sind die Parteiführer beteiligt. Keine hundert Tage nach Amtsantritt wünschen sie sich nun einen „Neustart“, so die FAZ.

Dass die Öffentlichkeit nach den Chaos-Tagen vom Jahreswechsel irgendein erlösendes „Machtwort“ ersehnt, ist das eine Problem von Angela Merkel. Das andere ist, dass ihre Koalition in der Gesundheits- und Steuerpolitik schlicht konträre Ziele verfolgt. Das lässt sich vielleicht bis zur Nordrhein-Westfalen-Wahl übertünchen, vermutet die Frankfurter Rundschau.

Merkel wartet bis zu den Wahlen in Nordrhein-Westfalen im Mai, wo die Mehrheit im Bundesrat auf dem Spiel steht. Erst danach darf Finanzminister Schäuble seine Pläne verkünden, wie er die horrende Staatsverschuldung abbauen will. Ob aber Merkels Kalkül des vorübergehenden Abtauchens aufgeht, ist ungewiss, befürchtet die Märkische Oderzeitung.

Es hat sich eine Menge aufgestaut zwischen den angeblichen Wunschpartnern des schwarz-gelben Regierungsbündnisses, und das nur gut 70 Tage nach seinem offiziellen Beginn. Der Streit um die Auslegung und richtige Umsetzung des Koalitionsvertrags, der schon während der Koalitionsverhandlungen einsetzte, bestimmt seitdem fast täglich die innenpolitischen Schlagzeilen, meint die ZEIT.

Der CSU fehlt das Vertrauen, das der Wähler und das in sich selbst, weil ihr die Verlässlichkeit fehlt. Langfristig reicht eine Gute-Laune-Strategie nicht, meint Die Welt.

Die FDP ist eine unfreie Partei. Sie ist eine Ein-Mann-Show, die in politischer Korrektheit erstickt, findet Die Welt.

Politik ist nach Otto von Bismarck die Kunst des Möglichen. Dieses Diktum ist der schwarz-gelben Regierung offenbar völlig fremd, zumindest FDP und CSU. Was die beiden kleinen Koalitionsparteien derzeit aufführen, verdient allenfalls, «absurdes Theater« genannt zu werden, urteilen die Nürnberger Nachrichten.

Sie reden tatsächlich! Merkel, Seehofer und Westerwelle wollen sich zusammensetzen und über ihre Politik sprechen. Wow, das sind Nachrichten über drei, die seit drei Monaten miteinander regieren, bemerkt das Handelsblatt.

Steuerpolitik

Der Torkel-Kurs des Horst Seehofer Partei-Reha auf Kosten des Koalitionsfriedens: Seehofer will die CSU im Steuerstreit nun auf einmal gegen die generöse FDP profilieren, so die Süddeutsche Zeitung.

Gesucht wird ein Angebot, dass Westerwelle bei der Abkehr von der Steuerreform das Gesicht wahren lässt. Den Preis dafür – etwa eine fortschreitende Privatisierung im Gesundheitswesen – zahlen dann wieder alle Wähler, fürchtet die Thüringer Allgemeine.

Was den Grünen ihr strikter Pazifismus, ist der FDP ihre Steuerpolitik. Hier aber endet die Analogie: Wenn die Liberalen jetzt angesichts von Finanzkrise und Schuldenexplosion auf massiven Steuersenkungen beharren, ist das in etwa so, als hätten die Grünen 1999 darauf bestanden, nur die sofortige bedingungslose Entwaffnung der Nato könne den Konflikt in Ex-Jugoslawien entschärfen, meint die Lausitzer Rundschau.

Justiz

Juristische Akribie. Der Bundesgerichtshof verdient Respekt für die Aufhebung des Freispruchs für den Dienstgruppenleiter der Dessauer Polizei, in deren Zelle Asylbewerber Oury Jalloh verbrannte. Am Fall darf sich nicht die Ohnmacht des Rechts, sondern muss sich die Macht des Rechts zeigen, fordert die Süddeutsche Zeitung.

Die verbogene Wahrheit. Der Tod von Oury Jalloh kommt erneut vor Gericht: ein Erfolg für den Rechtsstaat. Am Pranger stehen Polizisten, die wissen und schweigen, urteilt die Frankfurter Allgemeine.

Recht für einen toten Asylbewerber. Der Bundesgerichtshof hat richtig entschieden, dass der Tod Jallohs und ein Freispruch neu verhandelt werden müssen. Das stärkt den Rechtsstaat, meint die ZEIT.

Das Urteil ist eine Lektion. Dem Bundesgerichtshof sei Dank, dass er das seltsame Urteil im Fall Oury Jalloh aufgehoben hat. Er demonstriert, dass der Rechtsstaat auch in komplizierten Fällen nicht kapitulieren darf, urteilt der Tagesspiegel.

Die Kapitulation von Dessau. Das hat mit Rechtsstaat nichts mehr zu tun. Es ist der Vorsitzende Richter selbst, der mit diesen Worten in der Urteilsbegründung zugleich sein verheerendes Urteil über den zu Ende gehenden Prozess verkündet, so die Berliner Zeitung.

Deutsch-türkisches Verhältnis

Warum hat es der deutsche Außenminister nötig, sich bei seinem Besuch in der Türkei mit einem Touristen zu vergleichen? Wieso hatten seine Zuhörer Zweifel, ob das, was er sagt, auch zählt, fragt sich die FAZ.

Das unbekannte Wesen. In der Koalition ist der EU-Beitritt der Türkei umstritten. Dennoch empfangen die Türken den neuen Außenminister der Liberalen besonders freundlich – aus einem einfachen Grund. Süddeutsche Zeitung

Westerwelle, der Basta-Außenminister. Außenminister sind gewöhnlich für ihre Kunst berühmt, aus diplomatischer Zurückhaltung viel zu reden ohne etwas zu sagen. Aber in Ankara hat FDP-Chef Guido Westerwelle jetzt für ein seltenes „Basta“-Wort der deutschen Außenpolitik gesorgt, so das Handelsblatt.

Leitartikel

Steinbachs letztes Gefecht. Erika Steinbach kämpft ihr vielleicht letztes Nachhutgefecht, und das ist die gute Nachricht: Auch bei den Vertriebenen dürfte revisionistisches Geklingel keine Mehrheit mehr haben. Frankfurter Rundschau

Westerwelles Wendewunsch. Die schwarz-gelbe Koalition hat inzwischen selbst das Gefühl, ihr sei der Start misslungen. Wochenlange Interviewgefechte um Steuern und Gesundheit, die Kundus-Affäre, das Hotelierentlastungsgesetz, die Personalie Steinbach… Frankfurter Allgemeine (Print)

Die FDP sammelt ihre Gegner. Die Liberalen sollten sich nicht wundern, wenn nun Gewerkschaften und Kirchen gegen sie schießen. Westdeutsche Allgemeine

Ratlos in Kreuth. AZ-Redakteurin Angela Böhm über die Verfassung der CSU. Abendzeitung

Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik. So steht es im Grundgesetz. Zurzeit aber auch nur dort. In der Praxis ist von der sogenannten „Richtlinienkompetenz“ der Regierungschefin wenig oder nichts zu merken. […] Wie lange noch, Frau Merkel? BILD

Was bisher nur von Hamburg und nur in einem Politikfeld, der Bildung, ausgeht, könnte also eine Art fröhliche Zwangsmodernisierung der Union werden. Wenn die Hamburger CDU den bildungspolitischen Schwenk überlebt, können auch andere Länder folgen. Und irgendwann wählen dann vielleicht sogar die konservativen Windbauern an der Küste die Grünen nicht des Geldes wegen. Sondern aus Überzeugung. Süddeutsche Zeitung (Print)

Sieben dunkle Jahre überstehen.Vorausschauende Verkehrsexperten fordern seit langem, den öffentlichen Nah- und Regionalverkehr grundsätzlich in die Obhut der Länder zu geben. Insofern stimmt die Richtung, die der Berliner Senat, der Not gehorchend, jetzt einschlägt. Aber die Entscheidungen, die mit entschlossener Miene angekündigt werden, kommen viel zu spät. Tagesspiegel

Iran ist für uns das, was für Winston Churchill Russland war: ein Rätsel […]. Keiner weiß, was in dem Land mit seinen 75 Millionen Einwohnern geschieht […]. Westliche Journalisten sind kaum noch im Land vertreten, und wenn, dann dürfen sie sich nicht frei bewegen. Ob die Geheimdienste ein der Wirklichkeit entsprechendes Bild vom Iran zeichnen, darf […] bezweifelt werden. Die Welt

Absurde Google-Steuer. Bei Google findet man ja bekanntlich fast alles […]. Die Art und Weise, wie Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy nun Ressentiments gegen den Suchmaschinenriesen nutzt, ist hochgradig absurd und ordnungspolitisch bedenklich. Financial Times Deutschland

Bubble warning Markets are too dependent on unsustainable government stimulus. Something’s got to give. Economist

What Doesn’t Work in America. The story of a can’t-do nation. Mother Jones