Schwarz-gelber Haushalt, Pflegeversicherung & Thüringen

Schon vor dem Start von Schwarz-Gelb hagelt es Proteste gegen die Art, wie der „Steuersenkungswahn“ finanziert werden soll. Kritiker sehen einen finanzpolitischen Drahtseilakt, wenn die Finanznöte über einen Schattenhaushalt abgefedert werden. Allianz-Chefökonom Heise bezweifelt, dass das gelingen wird. Doch die neue Regierung hält eisern an ihrem Schulden-Kurs fest, meint das Handelsblatt.

Ein Schattenhaushalt rettet die Koalition von Union und FDP. Toll! Man parkt einen Haufen geliehenen Zaster zur Rettung der Sozialversicherungen in einer rechtlichen Dunkelkammer. Mit dem Sondervermögen schafft man sich elegant die EU-Schuldenwächter vom Hals, und bei Angela und Guido steigt die Steuersenkungsparty, so die Märkische Allgemeine.

Grausamkeiten begeht man zum Beginn einer Gesetzgebungsperiode, lautet ein politischer Lehrsatz. Die eigenen Wähler, so das Kalkül, haben die Zumutungen bis zur nächsten Wahl verdaut und die Notwendigkeit schmerzhafter Eingriffe akzeptiert, mahnt die Hannoversche Allgemeine Zeitung.

In Wirklichkeit heißt die Rechnung: Steuersenkung auf Pump. Dass sich das nicht rechnet, ist unter Ökonomen unstrittig. Der Staat verliert dauerhaft Einnahmen, weil eine Reform allenfalls ein Drittel der Kosten wieder einspielt. Und die Bürger werden zwar kurzfristig entlastet. Langfristig wird es aber durch die Kreditlast teurer. Die Schulden von heute sind schließlich die Steuern von morgen, so hat es FDP-Chef Guido Westerwelle schon vor ein paar Jahren gewohnt knackig zusammengefasst, so die Berliner Zeitung.

FDP-Vize Rainer Brüderle erklärt keck, Schattenhaushalte „hat es schon immer gegeben“. Stimmt! Und sie waren immer der Versuch, den dringend erforderlichen Ausstieg aus der Schuldenspirale in Richtung Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben, urteilt die Mitteldeutsche Zeitung.

Die „Schuldenbremse“ ging schon immer an der politischen Realität vorbei. Schwarz-Gelb pfeift nun vernünftigerweise auf diese Vorschriften, so die taz.

Nein, diesem Anfang wohnt kein Zauber inne. Dem Bundeshaushalt fehlt Geld, viel Geld, den Sozialversicherungen auch. Die Defizite sind so groß wie nie zuvor. Doch was machen Union und FDP? Sie klammern in den Koalitionsberatungen unangenehme Beschlüsse aus, meint die FAZ (Print).

Merkel und ihre Männer: Die Abstimmung mit den eigenen Ministerpräsidenten wird künftig für Merkel wichtiger als die Koalitionsrunde. Das von Misstrauen geprägte Verhältnis zu „ihren Männern“ ist die große Schwäche der Kanzlerin, urteilt das Handelsblatt.

Schwarz-Gelb entdeckt Geldquelle. Union und FDP wollen den Bürgern nach FTD-Informationen eine gewaltige Gebührenerhöhung durch die Hintertür aufbürden. Das folgt aus dem Plan, kommunale Unternehmen künftig genauso zu besteuern wie private, berichtet die Financial Times Deutschland.

Pflegeversicherung

Entwickelt die neue Koalition wenigstens bei der Pflegeversicherung reformerischen Ehrgeiz? Die Reform ist dringlich, und sie fällt den Richtigen vor die Füße: Union und FDP waren es, die 1995 gegen guten Rat das Pflege-Fehlkonstrukt durchgeboxt haben, erinnert die FAZ.

So schnell hat noch keine Regierung ihre Wähler ernüchtert. Statt eines großen Entwurfs, statt eines schwarz-gelben Projekts bietet sie immer nur kleinteilige Vorschläge, die noch dazu die Bürger belasten. […] Nun also sollen die Menschen mehr für die Pflegeversicherung zahlen, damit die Regierung eine Kapitalreserve für die Zukunft aufbauen kann, so die Berliner Zeitung.

Langsam lichtet sich bei den schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen der Verlautbarungsnebel. Was das erstaunte Publikum nun zu sehen bekommt, löst wenig Begeisterung aus: Ein gigantischer Schattenhaushalt und höhere Beiträge zur Pflegeversicherung prägen zumindest gegenwärtig das Bild, meint die Märkische Allgemeine.

War bislang hauptsächlich von Wahlgeschenken wie der Steuersenkung die Rede, lüftet Schwarz-Gelb nun allmählich die Gegenrechnung. Erster Test ist die Pflegeversiche- rung mit der Tendenz, dass sich der Arbeitgeber ganz aus der solidarischen Finanzierung verabschiedet und der Arbeitnehmer allein zahlt, urteilt die Thüringer Allgemeine.

Thüringen

Nervenstärke beim Thüringer Machtpoker. Der Koalitionsvertrag in Thüringen trägt die Handschrift der SPD. Er ist Matschies Werk. Regieren aber wird Christdemokratin Lieberknecht. Sie will nicht mehr unmodern und unbeweglich sein, meint die Frankfurter Rundschau.

Ineinander verbissen Beim zentralen Punkt ihres Wahlprogramms, der Bildung, hätte die SPD in Thüringen mit Linken und Grünen weit mehr herausholen können, findet die taz.

Kritik kommt aus Verhandlungskreisen der SPD. Die hohen Kosten, so lautet ein Vorwurf, machen aus vielen, mehr oder weniger ambitionierten Plänen, unerfüllbare Versprechen.So bleibt das 64 Seiten starke Papier in den Augen vieler Sozis – wie es gestern ein Abgeordneter trefflich formulierte – eine einzige, große Präambel, so die Thüringer Allgemeine.

… one more thing

Meine Kippa liegt im Ring. Henryk M. Broder schreibt warum er für das Amt des Präsidenten des Zentralrates der Juden kandidiert im Tagesspiegel.

Leitartikel

Das Narrenschiff. Auslagerung von Risiken, Schattenbilanzen, Off-shore-Geschäfte: Union und FDP wollen die Folgen der Bankenkrise just mit dem Trick bewältigen, der die Banken in die Krise geführt hat. Süddeutsche Zeitung

Es weht ein depressiver Zug durch die neue Regierung. Die backt kleine Brötchen und beschäftigt sich mit den wichtigen Fragen nur aus dem nationalen Blickwinkel. Die Welt

Als nächstes die Post. Es ist richtig, das Steuerprivileg für kommunale Betriebe zu kippen, um faire Wettbewerbschancen für private Anbieter zu schaffen. Wenn es Schwarz-Gelb dabei aber tatsächlich um hehre Grundsätze geht und nicht um zusätzliche Einnahmen, muss die Koalition auch die Privilegien der Post abschaffen – selbst wenn es den Bundeshaushalt belastet. Financial Times Deutschland

Wie kreditwürdig ist Schwarz-Gelb? Was täglich Tausende Bürger tun, um ihre Finanzlöcher zu stopfen, plant auch Schwarz-Gelb: Einen Kredit aufnehmen. Fragt sich nur, ob die Regierung die Raten zahlen kann. ZEIT

Das Impffieber steigt. Über Wirkverstärker und Impfstoffkonservierung wird plötzlich gestritten, als sei der Anlass, die Pandemie, nebensächlich. Es regiert der Zweifel. Die höchste globale Seuchenwarnstufe wird in einer Art Übersprunghandlung aufgewertet. FAZ

Der Streit um die Schweinegrippe-Impfung ist völlig aus dem Ruder gelaufen. „Zwei-Klassen-Medizin”, „Extrawurst für Politiker”, „Nebenwirkungen”? Darüber gerät aus dem Blick, worum es wirklich geht. […] Es käme doch auch keiner auf die Idee, auf Feuerwachen zu verzichten, nur weil man nicht weiß, ob es irgendwann wirklich brennt. BILD

Gilt „mehr Netto vom Brutto“ nur für die Arbeitgeber? – Annette Zoch, AZ-Redakteurin, über die Pläne zur Pflegeversicherungs-Reform. Abendzeitung

Koloniales Gehabe. Der afghanische Präsident Karsai muss in die Stichwahl. Die USA und Europa haben das durchgesetzt. Ihnen geht es weniger um Demokratie. Sie müssen den Einsatz am Hindukusch rechtfertigen. Frankfurter Rundschau

Brown Goes Wobbly on Afghanistan. Like Obama, the U.K. premier must choose between sending more troops or losing the war. Wall Street Journal

What Women Want Now TIME

The Three-Year Solution. How the reinvention of higher education benefits parents, students, and schools. Newsweek