Haushalt, Koalitionsverhandlungen, Wehrpflicht, Homo-Ehe & SPD

Diesem Anfang wohnt eine Blamage inne. Hinter der Kehrtwende beim Schattenhaushalt steckt finanzpolitischer Dilettantismus. Auch für parteipolitische Prestigeprojekte wie Steuersenkungen gelten Grenzen: das rechtlich Zulässige und das realpolitisch Mögliche. Financial Times Deutschland

Offenkundig haben Union und FDP noch rechtzeitig erkannt, dass man die neue Regierung besser nicht auf Lug und Trug gründet. Doch während sich in einigen Bereichen die Einsicht durchzusetzen scheint, überkommene Privilegien abzuschaffen, wird an anderen Stellen Klientelpolitik betrieben. FAZ

Nur noch ein Schatten. Die Koalition startet mit einer schweren Hypothek: Ihr finanzpolitischer Ruf ist angeknackst. Der Schattenhaushalt ist vom Tisch. Man kann das kaum anders als ein Desaster nennen. Frankfurter Rundschau

Schwarz-Gelb beginnt mit Rohrkrepierer. Mit einem Schattenhaushalt wollten Union und FDP ihre Steuerversprechen finanzieren – doch dann lassen Regierungsexperten den Traum vom zusätzlichen Geld platzen. Ihr vernichtendes Urteil: Der Sonderfonds ist verfassungswidrig Süddeutsche Zeitung

Prekarisierung des Staates. Die Trickserei mit dem Schattenhaushalt wollen die Unterhändler ausbügeln, aus Angst vor den Verfassungsrichtern. Wie der Versuch gezeigt hat, ist die Achtung der „bürgerlichen Mehrheit“ vor den Bürgern deutlich geringer. Selten haben sich Koalitionäre derartig verstiegen, um einen Bubenstreich als höhere Moral zu verkaufen. Tagesspiegel

Schwarz-Gelb bremst sich selber aus. Staatsschulden sind nicht das selbe wie ein Konsumentenkredit. Daher sollte man sie auch nicht auf die gleiche Art und Weise abtragen. Die Welt

Der Schattenhaushalt ist schnell als Trick erkannt worden. Man weiß gar nicht, was schlimmer wäre: Dass die Koalitionäre damit nicht gerechnet haben oder dass sie den Ruf der Trickserei billigend in Kauf genommen haben. Die rechtliche Prüfung des Schummelplans erfolgte erst, als er schon von den wesentlichen Beteiligten in den Himmel gelobt worden war. Berliner Zeitung

Mit dem plötzlichen Ableben der Schattenhaushalte verringert sich also der Spielraum für eine umfassende Bürgerentlastung samt Steuerstrukturreform auf ein Minimum. Die Koalition ist in der finanzpolitischen Realität angekommen. Endlich! General-Anzeiger Bonn

Finanzpolitischer Blindflug. Die FDP will nach elf Jahren in der Opposition eigene Akzente setzen. Das ist verständlich, doch ihr Programm passt nicht zu den wirtschaftlichen Gegebenheiten. Daraus ziehen die Liberalen den Schluss, dass sich nicht die FDP an die Welt anpassen muss, sondern die Welt an die FDP Süddeutsche Zeitung

Anleitung zur kreativen Haushaltsführung. Die Idee eines Schattenhaushalts hat Schwarz-Gelb nach heftigem Protest aufgegeben. Dabei lässt sich der Sanierungsbedarf auch anders kleinrechnen: Hier sind noch ein paar ganz legale Schuldenbremsentricks Financial Times Deutschland

Koalitionsverhandlungen

Schwarz-gelbes Chaos statt Klarheit. Vor wenigen Tagen hatte Kanzlerin Angela Merkel noch vor einem „Kaltstart“ der schwarz-gelben Koalition gewarnt. Jetzt stottert der Motor schon: viel Qualm, wenig Vortrieb. Während die Koalitionäre über dem Entwurf des Koalitionsvertrages brüten, entsteht in der Republik ein Eindruck von Chaos. Handelsblatt

Selten wurde den Bürgern weniger Problembewusstsein zugetraut. Dabei weiß das Volk längst mehr von der Krise und ihren Auswirkungen, als die Neuen ihm zumuten wollen. Doch statt die Bürger mit ihrem Wissen ernst zu nehmen, winken die Koalitionäre mit den Steuerschecks. Es besteht ein merkwürdiges Missverhältnis zwischen der Handlungsfreiheit der künftigen Koalition und ihrem mutlosen Beginn. Die Zeit

Die Tigerente watschelt, Schwarz-Gelb vergeigt den Start NRZ

Ihre unseriösen Wahlversprechen holen die Koalitionäre jetzt ein: Selten hat eine neue Regierung einen so holprigen Start hingegelgt wie Union und FDP. Und am Ende wird der Bürger doch bezahlen dürfen Nürnberger Nachrichten

Alles für die teure Kundschaft. FDP und Union versuchen, die Besitzstände aller mächtigen Lobbys zu schonen. Diese Konsenspolitik kommt sie teuer. taz

Einigung in der Gesundheitspolitik. Details wurden nicht genannt, doch Horst Seehofer sprach von einer Einigung: CDU und FDP sind sich in der Gesundheitspolitik näher gekommen. Geplant ist der Abschied vom Einheitsbeitrag der Krankenkassen, mehr Wahlmöglichkeiten für Patienten und eine Überprüfung der Praxisgebühr. FAZ

Der deutsche Holbrooke. Die Nachricht hört sich gut an: Die neue Regierung will einen Afghanistanbeauftragten einsetzen, der endlich ressortübergreifend tätig sein soll. Tagesspiegel

Was am Donnerstag so alles durchsickerte an Verhandlungsergebnissen zum schwarz-gelben Bündnis, ist mit den vielen Details verwirrend genug, um vom Kern der Geschichte abzulenken. Der besteht darin, dass bei der Annäherung an die finanzpolitische Wirklichkeit den Akteuren die eigenen Wahlversprechen abhandengekommen sind. Lausitzer Rundschau

In der CDU ist Angela Merkel mächtig wie selten zuvor. Allen Kritikern zum Trotz hat die Kanzlerin die Mehrheit für eine Regierung mit der FDP zustande gebracht. Trotzdem stärkt der Wechsel von Schwarz-Rot zu Schwarz-Gelb ihre schärfsten Widersacher in der Partei. Handelsblatt

Wehrpflicht

Union und FDP haben sich auf die Verkürzung der Wehrpflicht geeinigt. Sechs Monate sollen die Rekruten nun dienen. Das ist ein fauler Kompromiss. Die Zeit

Die Liberalen vertreten die vernünftige Auffassung, dass die Zeit der Wehrpflichtarmee auch in Deutschland vorüber ist. In vielen Nato-Staaten wird genauso gedacht; die USA, Großbritannien und Frankreich unterhalten aus guten Gründen keine Wehrpflichtarmeen mehr. Man braucht heute keine Massenheere in Vorbereitung auf große Kriege, sondern kleine, flexible und gut ausgebildete Berufsarmeen. Die Union aber will zum Teil aus Nostalgie, zum Teil aus Ideologie an der Wehrpflicht festhalten. Süddeutsche Zeitung (Print)

Auch das gehört zur Abteilung Murks-Kompromiss des schwarz-gelben Bündnis-Experiments: Die Union von Kanzlerin Merkel ist entschiedene Verfechterin der allgemeinen Wehrpflicht, die FDP lehnt diese ab. WAZ

Wehrpflichtarmee, Berufsarmee, Miliz? Die Bundeswehr ist nichts von alledem – oder von allem ein bisschen. Die Wehrpflicht wird zur Farce, wenn nicht einmal mehr jeder Fünfte eingezogen wird Nürnberger Zeitung

Die Bundeswehr braucht wegen ihrer vielfältigen Auslandseinsätze mehr denn je hoch motivierte und gut bezahlte Spezialisten. Der Wechsel zur Freiwilligenarmee wäre der richtige Schritt. Nicht zufällig ist die Wehrpflicht in den NATO-Staaten längst ein Auslaufmodell. Darauf hat auch die FDP immer wieder hingewiesen. Offenbar hat sie ihr Nein zur Wehrpflicht nun als Verhandlungsmasse im Koalitionspoker geopfert. Neue Osnabrücker Zeitung (Print)

Homo-Ehe

Von der Liebe zur Rente. Er handelte sich Niederlage auf Niederlage ein, ließ sich nicht entmutigen und bekam am Ende Recht: Wie ein Krankenkassen-Angestellter Rechtsgeschichte schrieb. Süddeutsche Zeitung

Recht durch Geschlecht. Mancher ist geneigt, es im Laufe der Jahre etwas zu vergessen, aber die Ehe hat einen zutiefst sexuellen Ursprung. Darin gleicht sie der homosexuellen Lebenspartnerschaft zu hundert Prozent. Tagesspiegel

Viele Kinder wachsen mittlerweile in Regenbogenfamilien auf, während immer mehr traditionelle Ehen kinderlos bleiben. Das hat nun auch das Bundesverfassungsgericht anerkannt. Die Richter haben in einem wegweisenden Beschluss einem schwulen Partner die selbe Betriebsrente zuerkannt wie seinem heterosexuellen Kollegen und so den Familienbegriff der Verfassung erweitert. Sie haben klar gesagt: Homo- und Hetero-Paare sind gleichwertig. Berliner Zeitung

Die Union als Außenseiterin. CDU und CSU bestehen auf ihrem Alleinstellungsmerkmal: Während alle anderen Bundestagsparteien für die Gleichstellung der Lebenspartnerschaften mit der Ehe sind, stellen sich die Konservativen quer. Frankfurter Rundschau

Ehe, Partner, Kinder. Karlsruhe stellt die Homo-Partnerschaft der Ehe gleich. Der Gesetzgeber hat nun einiges zu tun. Erste Aufgabe: Aus dem Ehegatten-Splitting muss endlich ein Familien-Splitting werden Süddeutsche Zeitung

SPD

Klartext statt Wortgirlanden. Einsicht ist der erste Weg zur Besserung, sagt der Volksmund. So gesehen ist die SPD nach ihrem krachenden Wahlabsturz nun wenigstens einen Schritt weiter. Lausitzer Rundschau

Sigmar Gabriel hat ein feines Näschen für Stimmungen. Gabriel weiß, dass der Basta-Stil seines Förderers Schröder passé ist. Zuviel wurde parteiintern von oben durchgepeitscht. Mit seiner Verbeugung vor den Parteigenossen in den Ortsvereinen, die er fortan dauerhaft an der Willensbildung der Partei beteiligen möchte, ist ihm der Applaus sicher. WAZ

Endlich trifft mal wieder einer aus der Führung die wahre Gemengelage; zweitens unterscheidet sich diese Analyse per Internet wohltuend von Münteferings jammernder Abarbeitung an Lafontaine; drittens ist nun endgültig klar, dass die SPD mit Frank-Walter Steinmeier ein echtes Problem hat. Der findet Gabriels Äußerungen nicht spektakulär – und hat selbst keinen erkennbaren Plan über die Zukunft der SPD. So wird es immer weitergehen: Gabriel gibt den Ton vor und der andere haspelt hinterher. Leipziger Volkszeitung (Print)

Der Schock wirkt immer noch nach, Sigmar Gabriel, der künftige SPD-Parteivorsitzende, verharrt im tiefen Tal der Depression. Anders ist in einer politisch so schnelllebigen Zeit wie der heutigen kaum zu erklären, dass Gabriel die Rückkehr an die Macht, was seine Generation anbelangt, so gut wie abgeschrieben hat. » weiter Märkische Allgemeine

Für die Zukunft verspricht Gabriels Analyse wenig. Sein Hinweis, wie langwierig die Genesung der SPD sein wird, dürfte zutreffen. Sein Vorschlag, häufiger mal eine Urabstimmung unter den Mitgliedern zu wagen, ist von begrenztem Wert. Als sie, 16 Jahre ist es her, praktiziert wurde, machte Rudolf Scharping das Rennen. Der Rest ist bekannt. General-Anzeiger Bonn

… one more thing!!

Klima: Fehlstart der Europäer. Ein grüner „New Deal“ in Europa ist ebenso wenig in Sicht wie eine gemeinsame Energie- oder Verkehrspolitik. Schlimmer noch: Auch die Finanzierung des Klimaschutzes bleibt ungeklärt. Handelsblatt

Leitartikel

SPD, der Zeitgeist steht gegen sie. Fünfzig Jahre nachdem die SPD in Bad Godesberg den Weg zur Volks- und Regierungspartei einschlug, stehen die Genossen vor einer Operation am offenen Herzen. Die künftige SPD-Führung mit Sigmar Gabriel an der Spitze hat die Partei neu zu errichten. Einen Masterplan gibt es nicht. FAZ

Über 7000 Menschen verlieren bei Quelle ihren Arbeitsplatz, mindestens 400 bei der Post, die mit Quelle einen Großkunden verliert. 30 000 bangen bei Karstadt. Sie alle geben dem Quelle-Aus ein Gesicht. Dass sie alle auf der Straße stehen, ist der wirkliche Skandal der Pleite. BILD

Stiftung Finanztest: Investoren zur Kasse, bitte! Eine Europäische Ratingagentur wäre eine sinnvolle Alternative zu den bisherigen Anbietern. Für die Bewertung der Risiken von Finanzprodukten sollten dann aber die Anleger zahlen. Financial Times Deutschland

Das kollektive Versagen von Banken, Notenbanken, Ratingagenturen & Co. hat die Weltwirtschaft mindestens an den Rand des Abgrunds gebracht – mit umso höheren Folgekosten. Logischerweise wollen die Staaten kein weiteres Mal erpressbar sein von Banken, die durch ihren Absturz das System mit sich reißen würden und daher angeblich „too big to fail“ sind. Also große Banken zerschlagen? Der Prozess ist längst im Gange. Wenn die EU-Auflagen für die Genehmigung von Beihilfen realisiert sind, werden etwa die Commerzbank und einige Landesbanken fast auf Bonsai-Format geschrumpft sein. Börsenzeitung

Erdogans Balanceakt. Die Türkei ist auf dem besten Weg, eine führende Macht im Nahen Osten zu werden. Ihre wachsende politische und wirtschaftliche Bedeutung macht sie nur noch attraktiver für die EU. Frankfurter Rundschau

Der göttliche van Gaal, ein Meister der Arroganz, in der Hybris-Liga unschlagbar. AZ München

The Chinese Disconnect. Something should be done about China’s weak-currency policy, which poses a growing threat to the rest of the world economy. New York Times

The Obama Coup. Glenn Beck mysteriously killed. The GOP driven out of Congress. Obama proclaims himself the „Lost Imam.“ An online game exploits right-wing paranoia. Mother Jones

China and America, the odd couple, America should be much more confident in its dealings with its closest rival Economist