TV-Wahlkampf-Duelle, Münchner S-Bahn-Überfall

Angela Merkel könnte sich eine Fortsetzung der großen Koalition vorstellen. Sie darf es nur nicht sagen. Steinmeier geht es ähnlich, so die Frankfurter Rundschau.

Dem sonntäglichen Kammerspiel sollte unbedingt der Kinofilm folgen. […] Was aber sagten die Drei, was wollten die Zwei von ihnen wissen? Zahlen, Zahlen, nichts als Zahlen. Von den 75 waren 70 Minuten wirtschaftlichen Fragen gewidmet. […] Der Dreikampf lehrt uns dreierlei: Im Schatten der Macht lässt es sich beherzter streiten als auf Regierungsbänken, findet die Süddeutsche Zeitung.

Was würde den Deutschen fehlen, wenn das angeblich wichtigste politische Ereignis des Jahres nicht stattgefunden hätte? Nicht viel. Stattdessen mussten sie den gefühlt längsten Abend der deutschen Fernsehgeschichte ertragen, urteilt die FAZ.

Wie man einen Streit zwischen Politikern organisiert, ohne dass sich journalistische Mätzchen in den Vordergrund drängen – das konnte man beim „TV-Dreikampf“ zwischen Westerwelle (FDP), Lafontaine (Die Linke) und Trittin (Grüne) beobachten, so die Welt.

Die Union führt am Tag nach dem Fernsehspektakel den Kampf um die Deutungshoheit mit derart zusammengebissenen Zähnen, dass sie an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen ist. Angela Merkel, auf deren Person der ganze Wahlkampf ausgerichtet ist, hat sich verkalkuliert, meint das Handelsblatt.

Am Ende war das Duell, gegen das die kleinen Parteien so schimpften, weil sie davon ausgeschlossen waren, vielleicht nur für sie nützlich. Denn indem die großen Gegner vor einem Millionenpublikum offenlegten, dass sie in Wahrheit auch nur mit Wasser kochen, persönlich oder politisch, werden die Wähler womöglich geneigt sein, jenen die Stimme zu geben, die ihre Ziele direkter verfolgen. Um nicht zu sagen: radikaler, so der Trierische Volksfreund.

Eben noch haben Merkel und Steinmeier in ungewöhnlich herausfordernden Zeiten gemeinsam ein ungewöhnlich großes Rad gedreht – und nun sollen sie sich einmal auf dem Absatz herumdrehen und grimmig aufeinander einschlagen, weil die Medien gern ein spannendes Duell hätten? fragt die Hannoversche Allgemeine Zeitung.

Dass Merkel und Steinmeier nach vier Jahren gemeinsamer Arbeit in der großen Koalition nicht übereinander herfielen, sondern zu ihren gemeinsamen Regierungsentscheidungen […] standen, ist doch kein Fehler. Im Gegenteil. Das zeugt von Rückgrat. Das Gegenteil solcher Standfestigkeit konnte beim Bruch der großen Koalition in Schleswig-Holstein studiert werden, meint das Flensburger Tageblatt.

Das Duell war also so, wie es Deutschland auch in der Krise ist: Einigermaßen solide und ziemlich langweilig. Jeder Wahlberechtigte hat die Chance, sich in wenigen Tagen dazu zu äußern, findet der Kölner Stadt-Anzeiger.

Angesichts der gewaltigen Aufgaben, die aus der Finanzkrise resultieren, hätten beide – entgegen allen anderslautenden Beteuerungen – überhaupt nichts dagegen, die Zusammenarbeit in der bisherigen Konstellation nach dem 27. September fortzusetzen. Das war die entscheidende Botschaft des Abends, und Guido Westerwelle wird sie gar nicht gerne vernommen haben, glaubt die Lausitzer Rundschau.

Die vier Moderatoren der vier größten deutschen Sender gefielen sich darin, journalistische Hartnäckigkeit durch ständiges Unterbrechen der Rede Merkels oder Steinmeiers zu demonstrieren. In weiten Teilen wurde so aus dem angestrebten Duell der beiden Spitzenkandidaten ein Wettstreit der Journalisten um die oft nur vermeintlich frechste Frage. Ein Wettlauf der Eitelkeiten, urteilt die Mitteldeutsche Zeitung.

Münchner S-Bahn-Überfall

Es braucht nicht viel, um in Deutschland eine S-Bahn-Fahrt nicht zu überleben. Ein wenig Zivilcourage kann schon zu viel sein, befürchtet der Bonner General-Anzeiger.

Dass die bayerische Justizministerin das grausame Verbrechen vom S-Bahnhof Solln für ihre politischen Zwecke missbraucht, ist abstoßend, findet die taz.

Man muss kein Pessimist sein, um zu vermuten, dass dieses Verbrechen die Bereitschaft zur Zivilcourage nicht steigern wird. Doch kaum weniger schockierend als die Tat selbst und ihre Umstände ist die sofort danach begonnene Debatte um die vermeintliche Zunahme der Jugendgewalt. Die routinierte Forderung nach verschärfter Sanktion und kompromisslosem Durchgreifen. Denn sie belegt ein doppeltes Desinteresse: Die Politik in diesem Land interessiert sich nur wenig für die Jugendlichen und noch weniger für die Ursachen jugendlicher Gewalt, meint die Berliner Zeitung.

Wer sich in einen gewaltsamen Konflikt einmischt, muss wissen, dass ihm kein Lehrbuch, kein Politiker und kein gut gemeinter Slogan zu Seite steht. „Alles richtig“ machen und dann ist der Konflikt gelöst wie eine Rechenaufgabe – in der Gewaltkriminalität gibt es das nicht, schon gar nicht bei hochaggressiven jugendlichen Gewalttätern. Wer mit solchen Leuten eine Konfrontation eingeht, gefährdet sich immer auch selbst. Dies soll, um Gottes willen, kein Appell zum Wegsehen sein, führt der Tagesspiegel aus.

Die Debatte über die öffentliche Sicherheit ähnelt auffallend der deutschen Bildungsdebatte. Bei letzterer werden phantasievolle neue Schulformen kreiert und fröhlich Pilotprojekte gestartet, obwohl jeder weiß, dass genügend Lehrer und kleine Klassen das A und O jeder Schule sind, meint die Märkische Allgemeine.

Nur gut, dass inzwischen wirklich jeder Depp etwas über seine Persönlichkeit im Internet verrät. So erfährt man wenigstens einiges über die Seelenlage jener beiden jungen Männer aus München, deren Tat so viele Menschen in Deutschland seit dem Wochenende fassungs- und ratlos macht, so die Hannoversche Allgemeine Zeitung.

Leitartikel

Wenn alles sich ändert, ist es am Ende doch wieder gleich. Nach diesem Hauptsatz der Unlogik funktioniert derzeit der deutsche Wahlkampf. Plötzlich haben CDU und SPD nach endlosen Wochen die Kunst der Zuspitzung wiederentdeckt. Financial Times Deutschland

Kanzlerin Merkel und Herausforderer Steinmeier ritten bei ihrem Duell nebeneinander her. Sie hat verloren, er hat gepunktet – und die Opposition hat gewonnen. Süddeutsche Zeitung

Es ist die Horror-Vorstellung. Du sitzt in der Bahn, eine Horde Schläger steigt zu und stürzt sich – natürlich – auf den Schwächsten. Was tun? Als Held womöglich sterben oder sich als Feigling nach Hause schleichen? BILD

Es ist ebenso üblich wie verfrüht, schon kurz nach einem Gewaltverbrechen eine Verschärfung der Gesetze zu fordern. Hätte tatsächlich eine Höchstjugendstrafe von 15 Jahren oder die generelle Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Heranwachsende den Mord von München verhindert? Doch das Strafrecht reagiert vor allem. Die Opfer haben von einer härteren Strafe nicht allzu viel. FAZ

Erst allmählich wird die Öffentlichkeit gewahr, welch monströses Verbrechen am Samstag auf einem S-Bahnsteig in München-Solln verübt wurde. […] Die Täter haben wie Kriegsherren gehandelt, die für sich das Recht beanspruchen, in „ihrem Gebiet“ andere Menschen zu unterwerfen. Mitten in unserem Land, am helllichten Tag und im öffentlichen Raum wird ein Mensch, der vorbildlich Zivilcourage gezeigt hat, buchstäblich hingerichtet. Die Welt

Courage zu fordern ist leicht – und wenn es gefährlich wird? – AZ-Chefredakteur Arno Makowsky über die Bluttat von Solln und die Folgen. Abendzeitung

Der Bankrott der US-Investmentbank hat die Welt nicht in die Krise gestürzt. Die Grundprobleme sind liberalisierte Finanzmärkte und konsumschwache Länder wie Deutschland. Frankfurter Rundschau

Why a Lehman deal would not have saved us. Financial Times

A rebuilt Wall Street. Taxpayer money — lots of it — saved Wall Street. Now it’s time for the government to rethink its roll. Los Angeles Times