Große Koalition, Gesundheitsreform und Aufbau Ost

Diese Regierung ist faktisch aufgekündigt. […] Dabei hat die Republik einen Anspruch darauf, regiert zu werden. Mehr noch: In der schwierigsten wirtschafts- und finanzpolitischen Lage seit Jahrzehnten darf es keine Winkelzüge geben. […] Wo ist eigentlich die Kanzlerin? fragt der Berliner Tagesspiegel

Besonders unangenehm fallen die Sozialdemokraten bei dem Versuch auf, die neue Situation wahlkampftaktisch für sich auszuschlachten. […] Steinmeiers atemberaubender Zickzackkurs der vergangenen Tage verdeutlicht, welch enormem Rechtfertigungsdruck ein Politiker sich aussetzt, wenn ökonomische Zwänge ihn daran hindern, die einmal eingenommene Retterrolle beliebig weiterzuspielen, meint hingegen die Finacial Times Deutschland.

Es wäre einfach, beide Seite aufzufordern, den Parteienstreit beiseite zu lassen und sich mit ganzer Kraft für die Opfer der Arcandor-Pleite einzusetzen. Das läuft bereits auf der operativen Ebene. Hier funktioniert die Große Koalition, so die Rheinische Post (Print).

Wer bei einem schwer angeschlagenen Unternehmen eine geordnete Insolvenz der Zahlung hoher Staatshilfen vorzieht, ist nicht gleich ein Marktradikaler. Zudem ist die Anti-Guttenberg-Kampagne schon deshalb ungeschickt, weil seine Haltung im Streit um Opel dem agilen Jung-Minister beim Wahlvolk viel Sympathie eingebracht hat, meint die Neue Osnabrücker Zeitung (Print).

Fast jeden Tag sagt der Mann vor den Kameras den Satz, man müsse vorsichtig sein, wenn man das schwer verdiente Geld der Steuerzahler ausgebe. Dass Guttenberg damit auch vielen Arbeitnehmern aus dem Herzen spricht, Handwerkern, Selbständigen, aber sogar auch Rentnern und Studenten, ist ein Tatbestand, der noch der Entdeckung harrt. Ein Umfrageinstitut meldete soeben, Guttenberg habe unter Wählern der Grünen sogar größeren Rückhalt als unter Wählern der CDU/CSU, do sie Hannoversche Allgemeine Zeitung (Print).

[Ulla] Schmidts politisches Lebensziel war die Schaffung einer einheitlichen Bürgerversicherung […] Für die privaten Versicherer haben die Richter indirekt eine Bestandsgarantie abgegeben – und damit die Einführung einer Einheitsversicherung höchst unwahrscheinlich gemacht, meint der Tagesspiegel.

Der Gesundheitsfonds wird erst dann zu einem sinnvollen Instrument, wenn sich alle, das heißt gesetzlich und privat Versicherte, an ihm beteiligen. Damit weist Karlsruhe den Weg in die Bürgerversicherung, urteilt hingegen die Berliner Zeitung.

Schmidt will die PKV in ihrer bisherigen Form abschaffen und den Privaten nur das Zusatzgeschäft lassen. […]Die Tage des jetzigen Systems sind gezählt, vermutet die Financial Times Deutschland.

Zu den wichtigsten Passagen des Urteils gehört, dass die Verfassungsrichter an Werte wie Solidarität, Gemeinwohl und abgewogene Lastenverteilung erinnern – also an den Kern des Gesundheitssystems. Zugleich erteilen sie einer Rosinenpickerei zum Nachteil der gesetzlichen Kassen eine klare Absage, urteilt die Neue Osnabrücker Zeitung (Print).

Anlässlich der Entscheidung aus Karlsruhe darf aber daran erinnert werden, dass wirklich zukunftsfähige Entscheidungen für das Gesundheitssystem in dieser Legislaturperiode gänzlich unterblieben sind, so der Kölner Stadt-Anzeiger.

Der Basistarif gilt zwar erst seit Januar, doch lange vorher hatte die Branche ihn zu ihrer Todesursache erklärt. Nun: Die Branche lebt, verdient gut und das überrascht nicht einmal: Der Basistarif ist teuer, unattraktiv, er wird kein Renner, glaubt die Thüringer Allgemeine.

Auch bei den Privaten [zieht] endlich Wettbewerb ein. Das Bundesverfassungsgericht hat gut daran getan, diese Neuregelungen als weitestgehend unbedenklich für die Funktionsfähigkeit der Privatkassen einzustufen. Ihre Zukunft wird maßgeblich von der Erschließung neuer Geschäftsfelder abhängen, meint die Lausitzer Rundschau.

Zwei Drittel der Ostdeutschen sind dennoch mit ihrer Lebenssituation zufrieden, sagt Wolfgang Tiefensee, Ost-Beauftragter der Bundesregierung. […] Glück auf niedrigem Niveau also. Dass der Ost-Beauftragte vor diesem Hintergrund dem Osten in seinem Einheitsbericht eine Krisenfestigkeit bescheinigt, ist allerdings eine Farce. Der Osten ist Krise, insofern ist er gefestigt, so die Märkische Oderzeitung.

Dass Tiefensee die eklatante Schwäche der ostdeutschen Wirtschaft mit zumeist nur kleinen Unternehmen, geringem Kapital und wenig Export in einen großen Vorzug zur Bewältigung der Krise umdeutet, ist schon ein starkes Stück, finden die Lübecker Nachrichten (Print).

Der von bisher noch jeder Bundesregierung als zentrales Anliegen formulierte Anspruch, die Lebensverhältnisse in Ost und West anzugleichen, weckt eine Erwartungshaltung, die das Grundgesetz nicht meint und die den Realitäten nicht mehr entspricht, befürchtet der Tagesspiegel

Das Thema Aufbau Ost ist zu einer Pflichtübung verkommen. Auch das Jubiläumsjahr zwanzig Jahre nach dem Mauerfall kann die Augen-zu-und-durch-Politik der großen Berliner Koalition nicht überdecken, meint die Ostsee-Zeitung (Print).

Leitartikel

Die privaten Krankenversicherungen sind mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen die Gesundheitsreform gescheitert. Die Richter in Karlsruhe haben klug entschieden. Das Modell der Privaten Krankenversicherung beruht auf der Verweigerung der Solidarität. Frankfurter Rundschau

Das Urteil zum Basis-Krankenversicherungstarif ist wegweisend: Es nimmt den Gesetzgeber in die Pflicht, Privatunternehmen in die Pflicht zu nehmen. Süddeutsche Zeitung

Ohne Controlling lässt sich eine Megabehörde wie die Bundesagentur für Arbeit nicht wie ein moderner Dienstleister führen. Doch gerade in der Krise sollte BA-Chef Weise auf einige Statistiken verzichten, damit sich seine Vermittler auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können: die Betreuung von Arbeitslosen. Financial Times Deutschland

Auch wenn sich der Feingeist traurig abwendet: Shoppingcenter sind die Zukunft des Einkaufens. Den traditionellen Warenhäusern droht das Schicksal der Tante-Emma-Läden. Die Konsumstätten müssen mit der Zeit gehen. Die Welt

Jeder Wähler muss wissen, was SPD und Union im Zweifel wichtiger ist: der Erhalt von Jobs, koste es, was es wolle? Oder der sparsame Umgang mit Steuergeld, selbst wenn es Jobs kostet? BILD

Hysterikerstreit: Im Fall des als Stasi-Mitarbeiter enttarnten Todesschützen von Benno Ohnesorg, Karl-Heinz Kurras, geht es nicht um eine Revision von 1968. Es geht schlicht darum, mit demokratischer Gelassenheit zu ergründen, was eigentlich gewesen ist. Frankfurter Allgemeine

Die Krise macht’s möglich: Ost- und Westdeutschland kommen sich näher. Verschwinden werden die Unterschiede nicht so schnell. Das muss auch gar nicht sein. Die Zeit

Handouts for Hummers:We’re astonished how quickly lobbyists fouled up a good idea. The Wall Street Journal