Parteien, Atomausstieg, Israel, Griechenland, Sexueller Missbrauch, Konjunktur, EHEC & Berliner Brandanschlag

Der große Irrtum Ein normaler Sonntag in Bremen. Warum nur ist dann die Stadt wie ausgestorben? Wo sind sie, die Wähler mit ihren Kreuzen? Scharenweise einemInfarkt erlegen, panisch ins Grüne geflüchtet, hinter verrammelten Fenstern und Türen verbunkert? So ähnlich. Berliner Zeitung

Gabriels Traum Angriffspunkte für formale Bedenken bietet Gabriels Durchlüftungsstrategie selbst nach einjähriger Reifezeit genug. Die Gefahr besteht, dass ein „Wahlkampf“ um die Kanzlerkandidatur die Führung selbst zerlegt. FAZ

Auf dem Weg zur Bürgerpartei Die SPD will neue Parteistrukturen und setzt auf Bürgerbeteiligung bei der Kandidatenauswahl. Die Apparatschiks in der Partei dürften damit schwer zu kämpfen haben. Doch ohne den Machtverlust Einzelner wird die notwendige Öffnung der Partei unmöglich. Die SPD hat jetzt die Chance, den Grundstein für eine Parteiendemokratie neuen Typs zu legen. Süddeutsche Zeitung

Widerstand gegen Vorwahl-Pläne Die SPD streitet darüber, in welcher Form sich die Partei gegenüber Nicht-Mitgliedern öffnen soll. Generalsekretärin Nahles legt einen Entwurf vor, den der Vorsitzende des konservativen Seeheimer Kreises, Kahrs, „Unsinn“ nannte. FAZ

Deutschland sucht den Supersozi Wenn es nach dem Willen der SPD-Spitze geht, dürfen künftig alle Wähler den Kanzlerkandidaten der SPD und auch deren Abgeordnete bestimmen können. Das klingt frisch, basisdemokratisch und offen. Manche werden sich fragen, warum sie Beiträge zahlen und Ortsvereinssitzungen durchleiden, wenn bei den wichtigen Entscheidungen auch Leute ohne Parteibuch mittun dürfen. taz

„Die Basta-Politik der Ära Schröder wird überwunden“ Was hat die SPD davon, wenn sie Bürger bei der Auswahl des Kandidaten mitbestimmen lässt? Viel, sagt Oskar Niedermayer. Der Berliner Politikwissenschaftler hat die Vorlage geliefert für das Konzept der Genossen, sich Nichtmitgliedern zu öffnen. Er erklärt, warum die SPD dadurch attraktiver wird – und weshalb die anderen Parteien nachziehen müssen. Süddeutsche Zeitung

„Kommt zu uns, Genossen!“ Die Linkspartei und die SPD: ein schwieriges Verhältnis. Sigmar Gabriel geht jetzt auf die Linke zu und bietet Reformern in der Partei die SPD-Aufnahme an. Der stern traf den Chef-Genossen zum Gespräch mit dem Linken Dietmar Bartsch. Es gab jede Menge Komplimente. Stern

Volk und Partei Volksbefragung, Volksbegehren, Volksentscheid. Gegen direkte Demokratie haben die Grünen als Partei der Bürgerrechte noch nie ihr Veto eingelegt. Wer sich so für Volksanliegen einsetzt, wird dann irgendwann Volkspartei? Bonner General-Anzeiger

Und zum Abendessen Froschschenkel Die FDP nimmt unter dem Motto „Jetzt wird geliefert“ das Projekt Steuersenkung wieder neu in den Blick. Finanzminister Wolfgang Schäuble gibt sich gelassen: Er hatte nichts bestellt. FAZ

Atomausstieg

„Wir haben ein echtes Problem mit dem Zeitdruck“ Die Industrie grummelt ein wenig – und warnt vor gefährlichen Schwankungen im Stromnetz, der größte Widerstand für Angela Merkels Energiewende aber kommt aus den eigenen Reihen. Süddeutsche Zeitung

Der Atomausstieg ist ein gefährliches Experiment Die Regierung setzt sich beim Thema Energiepolitik künstlich unter Zeitdruck. Das führt zu Fehleinschätzungen und kann gefährlich werden. Die Welt

Regierung kippt Atomsteuer Die Opposition nennt es schon jetzt einen „Kuhhandel“: Nach Informationen der „Financial Times Deutschland“ will die Regierung auf die Brennelementesteuer verzichten, wenn die Energiekonzerne im Gegenzug die Verkürzung der Atomlaufzeiten akzeptieren und auf Klagen verzichten. Stern

Mahnung zu großer Sorgfalt Deutschland hat noch nie einen flächendeckend und länger andauernden Stromausfall erlebt. Und das bleibt hoffentlich so, denn die Folgen wären in unserer vernetzten Gesellschaft dramatisch. Dass der Bundestag ausgerechnet während der Debatte um Atomausstieg und Energiewende über das Bedrohungsszenario diskutiert, ist ein Zufall. Allerdings ein glücklicher. Der Westen

Ein, zwei Kernstäbe mehr Ein Standardsatz aus dem Abwimmel-Repertoire der AKW-Betreiber lautet: Zu keiner Zeit bestand Gefahr für die Bevölkerung. Im Fall des japanischen AKW Fukushima müsste er lauten: Zu keiner Gefahr bestand Zeit für die Bevölkerung. Frankfurter Rundschau

Verdrängt, aber gefährlich Fukushima? Doch, doch, da war was. Ich komm gleich drauf … Hochzeit von William und Kate, Dortmund wird Meister, Euro-Krise … Sechs Wochen, sagen Katastrophenforscher, halten sich Meldungen über solche Desaster in den Medien. Dann werden sie zu Randnotizen. Das Muster bestätigt sich auch bei Fukushima. taz

Israel

Armes Israel Benjamin Netanjahu dürfte zufrieden mit seiner Reise nach Washington sein. Der US-Kongress hat ihn beklatscht… Berliner Zeitung

Netanjahu stellt Bedingungen In einer Rede vor dem amerikanischen Kongress hat Israels Ministerpräsident Netanjahu den Willen seines Landes zu einer friedlichen Lösung des Nahost-Konflikts bekräftigt. Israel sei zu „schmerzhaften Kompromissen“ bereit. FAZ

Der Unfriedensplan Nein zur Grenzlinie von 1967, Nein zur Teilung Jerusalems, Nein zum Rückkehrrecht für Flüchtlinge: Um sein ausgeschmücktes Ja zum Palästinenserstaat hat Benjamin Netanjahu bei seiner Rede vor dem US-Kongress festungsartig einen Ring von Vorbehalten gelegt – und damit den Frieden in weite Ferne gerückt. Süddeutsche Zeitung

Lessons From Tahrir Sq. Do the Israelis or Palestinians have any surprise in them? New York Times

Same Netanyahu, Different Israel Israeli has undergone profound demographic changes since Benjamin Netanyahu first addressed U.S. Congress 15 years ago. The Obama administration must understand and adjust for these shifts as it formulates its plan for Israeli-Palestinian peace. Foeign Affairs

The Ultimate Ally The „realists“ are wrong: America needs Israel now more than ever. Foreign Policy

Griechenland

Sisyphos statt Herkules Ein weiteres Mal setzt die griechische Regierung zu einem Kraftakt an. Noch einmal zieht sie die Steuerschraube an. Und weitere 50 Milliarden Euro soll die viel zu lange aufgeschobene Privatisierung von Staatsbetrieben und der Verkauf staatlicher Immobilien in die leere Staatskasse spülen. Schaffen wird sie das nicht. FAZ

Griechenland ist Sache der Politik Die EZB ist lange genug für die Staatengemeinschaft in die Bresche gesprungen. Das griechische Solvenzproblem zu lösen ist nicht mehr Aufgabe der Notenbank Griechenland ist Sache der Politik. Financial Times Deutschland

Griechen ziehen ihr Geld von Bankkonten ab Griechenland braucht neues Geld von Euro-Staaten und IWF. Gleichzeitig bringen offenbar immer mehr Griechen ihre Ersparnisse ins Ausland. Die Einlagen griechischer Banken sind um 31 Milliarden Euro gesunken. FAZ

Sexuelle Gewalt

Teure Reue Für die finanzielle Entschädigung der Missbrauchs-Opfer hat die „Unabhängige Missbrauchsbeauftragte“ Christine Bergmann jetzt einen Vorschlag gemacht, der den Täter-Institutionen schwer im Magen liegen wird. Frankfurter Rundschau

Kein Abschluss Abschlussbericht. Das ist ein irreführender Titel für das Papier, das die „Unabhängige Beauftragte für die Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs“ Christine Bergmann am Dienstag vorgelegt hat. Abgeschlossen ist nur ihre eigene Dokumentationsarbeit, mehr nicht. Bonner General-Anzeiger

Genug geschwiegen Nun reden die Opfer: In „Und wir sind nicht die Einzigen“ erzählen ehemalige Odenwald-Schüler von sexuellem Missbrauch und von der Mauer des Schweigens, auf die sie in ihrem Leid stießen. Der Film ist das Dokument eines Martyriums – bedrückend und einfühlsam. Süddeutsche Zeitung

„Es war und ist die Hölle“ Ein Jahr lang hat Christine Bergmann, die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Briefe Betroffener ausgewertet. In ihrem Abschlussbericht finden sich auch Auszüge aus diesen Schilderungen. Süddeutsche Zeitung

Ein unangenehmer Appell Sie ist die oberste Kämpferin des Bundes gegen sexuellen Missbrauch: Ein Jahr lang hat sich die frühere Familienministerin Christine Bergmann mit dem Leid der Opfer beschäftigt, nun hat sie ihren Abschlussbericht vorgelegt. Den betroffenen Institutionen, darunter die katholische Kirche, dürften ihre Forderungen nicht gefallen. Süddeutsche Zeitung

Gebot der Menschlichkeit Nach dem Abschlussbericht über den Kindesmissbrauch müssen nun konkrete politische Taten folgen. Mitteldeutsche Zeitung

EHEC

EHEC-Alarm ohne Alarmismus Was katastrophische Seuchenszenarien immer wieder als schlimmsten Fall beschreiben, entwickelt sich nun vor unseren Augen in der Realität: EHEC, ein winzig kleines Bakterium, das über Jahrzehnte zwar immer wieder, aber unauffällig und nur gelegentlich störend, vom Tier auf den Menschen kommt, hat sich in noch unbekannter Weise derart verändert, dass es nun zur tödlichen Bedrohung wird. Berliner Zeitung

Getarnt wie ein alter Bekannter Experten im Labor züchten Kolonie um Kolonie, Stuhlproben werden quer durch die Republik verschickt, aber woher genau der Ehec-Erreger kommt und wie er in die Körper der Kranken gelangt, darauf gibt es bislang keine Antwort. Eigentlich ist eine Ehec-Infektion nichts Besonderes, auch in der Vergangenheit gab es Fälle. Aber nie verlief die Krankheitswelle so gravierend wie derzeit. Süddeutsche Zeitung

Wir müssen mit der Gefahr einer Epidemie leben Die Schweinegrippe hat uns eine Lehre hinterlassen: Panik vor neuen Erregern hilft nicht. Mehr noch: Das Gefährlichste an Keimen ist die Hysterie davor. Die Welt

Panik bringt nichts Eigentlich möchte man so gerne sagen: Wir haben den Rinderwahn überstanden, wir haben die Schweinegrippe überlebt – und werden uns auch von diesem Darm-Bakterium nicht krank machen lassen. Vielleicht ist es gar nicht schlecht, wenn wir so denken… Der Westen

Gefahr erkannt Wie immer, wenn der „Gegner“ diffus bleibt, sind wir besonders beunruhigt. Das ist im Fall des offenbar ungewöhnlich aggressiven Stamms des Darmkeims EHEC nicht anders. Zu viele Fragen sind noch offen: Woher kommt der Erreger, warum ist er so gefährlich und – auch dies treibt uns nicht zuletzt um – wer ist dafür verantwortlich? Die Antworten werden bestenfalls in einigen Tagen vorliegen. Märkische Allgemeine

Warnsignal Es ist zu befürchten, dass fehlendes Bewusstsein für die notwendige Hygiene EHEC-Infektionen gefördert hat. Mitteldeutsche Zeitung

Konjunktur

Die Mär vom Konsumwunder Die deutsche Wirtschaft ist stärker denn je, urteilen Fachleute angesichts des kräftigen Wachstums im ersten Quartal. Doch bei genauerer Betrachtung ist diese Interpretation falsch. Der Aufschwung ist keineswegs so robust wie allgemein angenommen. Financial Times Deutschland

Die Basis macht’s Keine Veränderung ohne Basis, lautet ein eherner Grundsatz der Wirtschaftsberichterstattung. Nie sollte gegen ihn verstoßen werden. „Großkonzern Vielversprech AG verdreifacht Reingewinn!“ gibt eine prima Schlagzeile ab. Das Ifo-Institut hat, wie es dies regelmäßig etwa alle fünf Jahre macht, wieder die Basis für seinen Geschäftsklimaindex modernisiert. Das Referenzjahr ist jetzt 2005 anstelle von 2000. Ob Basis 2000 oder 2005, noch immer bescheinigt der Ifo-Index der deutschen Wirtschaft eines: Sie strotzt vor Kraft, und es wird Zeit, dass sich das hohe Wachstumstempo etwas verringert. Sonst droht Überhitzung. Börsen-Zeitung

Höhere Löhne Wenn der private Konsum nicht mithält, geht dem deutschen Aufschwung bald die Luft aus. Mitteldeutsche Zeitung

Berliner Brandanschlag

Logik des Terrors Man brennt ein Kabelbündel durch – und schon herrscht Chaos zwischen Ostsee und Thüringen: Der Anschlag am Berliner Ostkreuz ist ein Anschlag auf unsere Gelassenheit. Süddeutsche Zeitung

Die Bahn, die Stadt und der Terror Es geht nicht an, wie in Internetforen nachzulesen ist, den Brandanschlag am Bahnhof Ostkreuz als (zulässigen) Protestakt gegen die Bahn zu verhübschen. Er ist ein Anschlag auf das Gemeinwesen. Tagesspiegel

Begründung aus dem Baukasten Mit dem Brandanschlag sollte alles Böse dieser Welt getroffen werden. Wow! Und all dies trifft man also, in dem man Berlins rumpelige S-Bahn lahmlegt? taz

Die Bahn spart an der falschen Stelle Wenige Liter Brandbeschleuniger und reichlich kriminelle Energie reichen also, um den Nahverkehr in Berlin lahm zu legen, die Regional- und Fernzüge aus dem Takt zu bringen und das Mobilfunknetz empfindlich zu stören – das ist die unheimliche Erkenntnis nach dem Anschlag auf ein Kabelbündel der Bahn am Ostkreuz. Berliner Morgenpost

…one more thing!

Durchbruch für das EU-Patent Nach jahrzehntelangem Ringen zeichnet sich eine Einigung über die Einführung eines EU-Patents und einer einheitlichen Gerichtsbarkeit ab. Die EU-Kommission will einen Vorschlag machen. FAZ

Leitartikel

Probe auf eine grüne Republik Alles schaut auf Stuttgart, wo Winfried Kretschmann seine Regierung erklärt. Der Triumphzug der Öko-Partei aber hat vorher begonnen und ist nicht allein durch Fukushima begründet. Frankfurter Rundschau

Als Großstadtpartei kaum tauglich Nicht religiöse Vielfalt, sondern ethisches Allerlei überfordert die Union. Die traditionsreichen Normen verfallen in den Großstädten so schnell, dass CDU und CSU keine Chance haben, der Wählerschaft ein verbindliches Programm anzubieten. FAZ

Obama macht es sich zu einfach Die bitterste Nahost-Lektion hat Obama noch nicht gelernt: Wann immer der Frieden in greifbarer Nähe ist, ziehen die Palästinenserführer die ausgestreckte Hand zurück. Der Grund: In Israel wird man durch Frieden zum Volkshelden – wie Rabin. Bei den Palästinensern aber – wie Arafat – durch Terror. BILD

Aufstehen aus Ruinen Für ihre Tatkraft, Würde und Courage haben die Japaner in den letzten Wochen die Bewunderung der ganzen Welt auf sich gezogen. Diese Eigenschaften werden ihnen helfen, am Ende gestärkt aus der Katastrophe hervorzugehen. Die Welt

So klug als wie zuvor Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Ein Jahr nach dem Schlamassel mit dem Eyjafjallajökull hält Europa eine groß angelegte Simulation ab, um einem ähnlichen Chaos vorzubeugen. Diesmal mit einem anderen Vulkan, dem Grímsvötn. Financial Times Deutschland

Die Möchtegern-Sheriffs des Internet Die Pionierarbeit ist geleistet, nun geht es darum, wer die Macht über das Internet erhält. In Paris diskutieren allerdings einzig Politik und Wirtschaft über die Konflikte der neuen Online-Welt – das sollte uns Sorgen machen. Süddeutsche Zeitung

Don’t Be a Stranger Barry O’Bama, the Emerald Isle’s long lost son, zips from a family reunion to pomp and circumstance. New York Times

Men Behaving Badly What Is It About Power That Makes Men Crazy? TIME

Don’t believe the hype about U.S. debt Businesses have far worse debt-to-income ratios than the U.S. government. Why? Because investment grows a balance sheet and an economy. USA Today