Europawahl, Staatshilfen & britische Regierungskrise

Von der proeuropäischen Hochstimmung der achtziger und neunziger Jahre ist dieses Ergebnis weit entfernt. Doch es gehört auch zum Bild, dass die weniger zahlreichen deutschen Europäer von heute im Unterschied zu manch anderen Wahlvölkern auch im Blick auf Europa nicht auf Protest gestimmt waren. FAZ

Es gab gestern wenige echte Sieger, aber manche Verlierer. Insgesamt votierten die Deutschen unspektakulär. Und vor allem frei von jeder Form der Panik. Das ist ein gutes Vorzeichen für den 27. September. Die Welt

Das europapolitische Versagen der Parteien wiegt in der Wirtschaftskrise besonders schwer. Die Angst vor der Globalisierung wächst, die Einwanderung billiger Arbeitskräfte und die Abwanderung von Jobs werden nun erst recht zu Schreckgespenstern. Parteien am rechten und linken Rand machen die EU dafür verantwortlich. Wer hält dagegen? Alle europäischen Nationalstaaten sind zu klein, um im harten globalen Konkurrenzkampf zu bestehen, Handelsblatt

Europa ist es nicht gelungen klarzumachen, wofür es eigentlich da ist. Dieses Signal wiegt schwerer als die gespielte Zufriedenheit derer, die sich als Gewinner feiern. Mitteldeutsche Zeitung

Vielleicht führt der Urnengang ja dazu, die Großzügigkeit im Ausgeben nicht vorhandener Milliarden für Rettungsaktionen mit ungewissem Ausgang zu überdenken. Wäre doch etwas. Märkische Oderzeitung

Krise macht konservativ, ausgerechnet die Parteien profitieren, die für neoliberale Ideen stehen – obwohl die Krise den Neoliberalismus als Ideologie scheinbar erledigt hat. taz

Die Lehre aus der Europawahl: Die Deutschen wechseln in der Krise nicht die Pferde. Frank-Walter Steinmeier wird es auch bei der Bundestagswahl schwer haben gegen Angela Merkel. Tagesspiegel

Kanzlerkandidat Steinmeier hat nicht gezogen. Im Gegenteil. Trotz seines großen persönlichen Opel-Rettungseinsatzes – vielleicht auch deswegen – haben deutlich mehr Arbeiter die Union gewählt als ihre einstige Stammpartei. Die CDU als Arbeiterpartei – das ist nicht mehr Rüttgers Traum, das war gestern Trend. Westfalenpost

Außerdem geht der Schlamassel für die CDU jetzt erst los. Angela Merkel braucht, das weiß sie seit gestern, Horst Seehofer. Und sie braucht Guido Westerwelle. Beide werden sie das spüren lassen. Beide haben ihren Preis. Berliner Zeitung

Die Causa Karstadt hat längst ihre eigene Dynamik entwickelt: Kurz vor der Pleite sind mittlerweile alle Mittel recht. Selbst das Kartellamt verkommt zum Zuschauer. Süddeutsche Zeitung

Verbrennt der Konzern weiter mit diesem Tempo das Geld, werden auch staatliche Hilfen vor der Buntestagswahl aufgezehrt sein. Das sollten alle Parteien bedenken, die jetzt nach Bürgschaften rufen. Handelsblatt

Die Politik entscheidet, ob der Konzern Staatshilfe bekommt, oder in die Insolvenz geht. Doch egal, wie die Entscheidung ausfällt: In einem Jahr wird es den Konzern so nicht mehr geben. Financial Times Deutschland

Es ist zwar längst nicht ausgemacht, dass die mit vielen Filialschließungen einhergehende Fusion den Niedergang des Geschäftsmodells Warenhaus stoppt. Aber es ist ein Anstoß für die überfällige Konsolidierung. FAZ

Her mit der Knete, sonst kracht’s! Es ist vielleicht nicht die Sprache eines Bankräubers; in Sachen Stil mutet es aber schon wie Nötigung an, wie Arcandor an diesem Wochenende mit der Politik umgesprungen ist. Frankfurter Rundschau

Nur noch Angst hält die Labourpartei und diese Regierung zusammen. Aber eben deshalb ist das Ende Browns unausweichlich. Die Revolte hat begonnen und wird, langsam aber sicher, an Fahrt gewinnen. Die Frage ist nicht mehr, ob Brown stürzt, nur noch wann. Tagesspiegel

Mr Brown’s premiership is in its death throes. The danger for Labour is that, if he remains at the helm, the party itself could be imperilled. Its local government base lies in ruins. Donors are defecting. He has no distinct political offering. The intellectual resources of the left are depleted. Financial Times

Ein Sturz Browns würde unverzüglich zu Neuwahlen führen, bei denen die Hälfte der Labour-Fraktion – zurzeit 353 Abgeordnete – um seine Sitze bangen müsste. Will man das? Es wäre, wie ein Verfassungsrechtler gestern schrieb, „als würden die Truthähne für ein vorgezogenes Weihnachten stimmen“. Die Welt

Da könnte Schadenfreude aufkommen, wäre die Sache nicht zu ernst. Denn der tiefe Sturz der britischen Labour-Partei kann weitreichende Folgen für die gesamte EU haben. Lausitzer Rundschau

Gordon Brown hat das Kapital von Labour verspielt und die Partei in eine Neurose geführt. Handelsblatt

The postman rings twice, what Alan Johnson might offer the Labour Party and the country Economist

Leitartikel

Unterm Strich hat diese Wahl einen ganz großen Verlierer: Europa selbst. Schuld daran sind nicht die Wahlmuffel, sondern die nationalen Politiker. Frankfurter Rundschau

Wenn man auf der wackeligen Basis Europawahl einen Großtrend ablesen kann, dann den: Es wird schwarz und gelb in Deutschland. Wenn sich das im Laufe der nächsten Zeit als sicher abzuzeichnen beginnt, könnten aber der SPD die paar Prozente zuwachsen, auf die sie so sehnlichst wartet. Dann wäre alles wieder offen. Süddeutsche Zeitung

Das Mehrheits-Ergebnis für Schwarz-Gelb und der Tiefschlag für die SPD zeigt: Die schwere Wirtschaftskrise bringt die Deutschen politisch viel weniger durcheinander als erwartet. Sie bewahren kühlen Kopf. Von Katastrophen-Stimmung nichts zu merken. BILD

Auch wenn es übertrieben ist, die Wahl zum Europaparlament als Generalprobe für die viel wichtigere Bundestagswahl im Herbst zu verkaufen – das Ergebnis wird den deutschen Wahlkampf kräftig durchschütteln. Financial Times Deutschland

Irland in Selbstzweifeln. Mitten in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Depression wird die irische Gesellschaft von einer beschämenden Vergangenheit eingeholt. Für die Nation, die über Jahrhunderte mit ihrer Opferrolle verwachsen war und ihren Aufschwung. FAZ (Print)

Keine Schamgrenzen, nirgends, die liberale Gesellschaft braucht Kriterien für Gewaltdarstellungen. Die Welt

Konzerne setzen ihre Anwälte, PR-Berater und Lobbyisten zum großen Beutezug Richtung Finanzministerium in Marsch. Das mag sich für die Unternehmen auszahlen, denn es ist heute allemal leichter, 100 Millionen Euro aus der Bundeskasse einzusacken, als eine Million durch ordentliche Geschäfte zu verdienen. Wirtschaftswoche

Blue-collar America, down, but not necessarily out. Economist