Afghanistan, Jürgen Rüttgers & Anti-Atomkraft-Bewegung

Die Luftangriffe der Nato haben die Diskussion um den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr verschärft. Die Regierung muss nun eine Entscheidung über ihre Strategie treffen – trotz und wegen des Wahlkampfs, meint die Süddeutsche Zeitung.

Europa wollte die Drecksarbeit in Afghanistan die Amerikaner verrichten lassen und sich selbst ganz dem Wiederaufbau widmen. Doch die Taliban spielen bei dieser Rollenverteilung nicht mit. Ihr Hauptangriffsziel ist der Wille des Westens, diesen Krieg fortzuführen, urteilt die FAZ.

In einem kriegerischen Konflikt gibt es immer auch zivile Opfer. Die Bundeswehr mag mit dem Befehl zum Luftangriff falsch gehandelt haben, aber die europäischen Verbündeten dürfen jetzt nicht mit Vorwürfen reagieren, findet Die Welt.

Von einem Moment auf den anderen haben Deutsche und Amerikaner im Afghanistaneinsatz die Rollen getauscht: Waren es in früheren Jahren die bösen US-Truppen, die – gerade von Deutschland – heftig dafür kritisiert wurden, bei der Bekämpfung von Aufständischen zu wenig Rücksicht auf Verluste zu nehmen, so muss sich nun Deutschland diesen Vorwurf gefallen lassen, so die Financial Times Deutschland.

Mit seiner Haltung zu dem von der Bundeswehr angeordneten Luftschlag bei Kundus torpediert Verteidigungsminister Jung den Versuch, die Sympathien der afghanischen Bevölkerung zurückzugewinnen. Doch die Bundeswehr darf sich nicht länger isolieren, fordert die Badische Zeitung.

Hat die Bundeswehr sich eines Kriegsverbrechens schuldig gemacht, auch wenn dieser Krieg offiziell keiner ist? Es geht gerade nicht darum zu beweisen, dass alles richtig war, sondern darum zu prüfen, was richtig und was falsch war, meint die Berliner Zeitung.

Keine Entschuldigung, kein Wort der Mäßigung – nur Rechthaberei in einer Form, die dazu verführt, sie typisch Deutsch zu nennen. Berlins Verteidigungsminister Franz Josef Jung mag juristische und politische Gründe für seine hartnäckige Behauptung haben, die Bombardierung der zwei Tanklastwagen nahe dem deutschen Lager in Kundus habe nur Talibankämpfer getötet, so der Bonner General-Anzeiger.

Manches spricht dafür, dass der Kommandeur Opfer der Propaganda der Taliban geworden ist. Die drohen den Deutschen seit langem mit einem verheerenden Anschlag. Aber Angst ist ein schlechter Ratgeber. Das Verteidigungsministerium darf deshalb jetzt nicht mauern, sondern muss im eigenen Interesse mit der Nato aufklären, fordert der Kölner Stadt-Anzeiger.

Der Soldat, dein Freund und Aufbauhelfer: Dieses Bild vom Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan hat die Bundesregierung lange genug gepflegt. Es war auch zu schön, meint die Märkische Allgemeine.

Ein baldiger Abzug aus Afghanistan allerdings würde nur den Taliban in die Hände spielen: Trotz tragischer Zwischenfälle wie in Kundus werden die deutschen Soldaten noch Jahre gebraucht. Sie schützen unter Einsatz ihres eigenen Lebens den Wiederaufbau und die Demokratisierung des Landes. Und das sollte, bei aller Kritik, nicht vergessen werden, meint der Mannheimer Morgen.

Wer erstaunt ist, dass keiner unserer Partner Verständnis für das Vorgehen der Bundeswehr zeigt, sollte sich erinnern, dass die deutsche Politik gerade den Amerikanern oft ihre aggressiven Einsätze vorgehalten hat, während man doch selber am liebsten ohne Waffen Frieden schaffen würde. Diese Arroganz rächt sich nun, meint der Tagesspiegel.

Man weiß nicht, worüber man sich mehr wundern soll: über die schonungslose Selbstkritik der Nato – das hat eine neue Qualität – oder über die mangelnde Solidarität von Partnern wie Frankreich, die von einem großen Fehler sprachen, bevor alle Fakten feststanden. Für den Einsatz am Hindukusch kann der Anschlag zu einem Wendepunkt werden, befürchtet die Westdeutsche Zeitung.

Anti-Atomkraft-Bewegung

Die protestentwöhnte Republik reibt sich die Augen. Auch manch einer, der an diesem Wochenende selbst mit durch die Hauptstadt demonstrierte: Huch! Was war das? Die Anti-Atomkraftbewegung ist wieder da, so die Frankfurter Rundschau.

Denn die Hoffnung der Konzerne, dass das Atomthema heute weniger Menschen interessiert, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil: Die Demonstration hat bewiesen, dass die nächste Generation mindestens so engagiert dabei ist wie die vorhergehende. Und auch das gesellschaftliche Spektrum derjenigen, die auf die Straße gehen, ist breiter geworden, findet die taz.

Sollte Schwarz-Gelb in knapp drei Wochen die absolute Mehrheit verfehlen, dann liegt es womöglich an den zu schroffen Pro-Atom-Bekenntnissen des Duos Merkel / Westerwelle. Deren Konzept – Laufzeit-Verlängerung gekoppelt mit Gewinn-Abschöpfung zu Gunsten der erneuerbaren Energien – ist arg janusköpfig, findet der Kölner Stadt-Anzeiger.

Drei Wochen vor der Bundestagswahl hatte die Anti-Atom-Bewegung noch einmal zum großen Marsch auf Berlin geblasen. Denn wenig ist in diesen Zeiten eines Wahlkampfes der seichten Botschaften so klar wie der Kurs der politischen Lager in der Atom-Frage, so der Bonner General-Anzeiger.

Jürgen Rüttgers

Da Jürgen Rüttgers bekanntlich dem deutschen Proletariat nahe steht, greift er anders als Westerwelle nicht die Vorurteile gegen die „Faulenzer“ auf, sondern diejenigen gegen Ausländer. Der Rumäne kommt morgens zu spät und geht abends zu früh, um anständige Handys zusammenschrauben zu können, so die Frankfurter Rundschau.

Rüttgers hat seine Sätze bewusst in den Wahlkampf eingespeist, obwohl er kein Rassist und rechter Umtriebe unverdächtig ist. Genau da liegt das Problem. Rüttgers hat gezielt und vorbereitet Stimmungen geschürt, er wusste ganz genau, was er tat, urteilt der General-Anzeiger aus Bonn.

Die Empörungs-Maschinerie läuft, es ist Wahlkampf. Aber warum regt sich erst jetzt alle Welt über Jürgen Rüttgers auf? fragt die Westfalenpost.

Der NRW-Ministerpräsident sollte sich künftig zügeln und lieber versuchen, Investoren für sein Land zu finden. Kleiner Tipp: Chinesen legen besonderen Wert auf Höflichkeit, rät der Mannheimer Morgen.

Möglicherweise ist es auch den Politikern selbst zu langweilig geworden. Ein Wahlkampf, für den sich kaum jemand interessiert, Veranstaltungen mit Spitzenpolitikern, zu denen nur ein paar Versprengte kommen – die Versuchung, mit kernigen Sprüchen etwas Leben in die Bude zu bringen, muss ziemlich groß sein, vermutet der Tagesspiegel.

… one more thing

Die Wahlkampfrede von Jürgen Rüttgers ansehen

Leitartikel

Der Deutsche ist flexibel und wählt farbig, die Politik jedoch liebt es schwarz-weiß. Die Parteien sind dem Wähler nicht gewachsen. Süddeutsche Zeitung

Dass ihre Aussichten schlecht sind, wissen die Sozialdemokraten selbst. Steinmeier hat Klötze am Bein. Wirklich schwierig wird es für ihn aber erst nach der Wahl. FAZ

Einen Wahlkampf dieser Art gab es in der Republik noch nicht: Con sordino, präsidial, keine Diffamierung, kaum Gebrüll.Angela Merkel als großer, Frank-Walter Steinmeier als kleiner Fesselballon über Deutschland.Eine gewisse Ähnlichkeit wiesen die Wahlkämpfe Ludwig Erhards auf. Sie waren argumentativ, Wohlstand und Wohlwollen schienen in einer Person vereint. Die Welt

Ersparen wir uns die Debatte darüber, ob Jürgen Rüttgers nun ein Rassist ist oder nicht, wenn er sich in Wahlkampfauftritten das Maul über die angebliche Faulheit rumänischer Nokia-Arbeiter zerreißt. Financial Times Deutschland

Der deutsche Verteidigungsminister schadet Deutschland. Er reagiert völlig unangemessen auf das durch die Bundeswehr befohlene Bombardement in Afghanistan – und die Kritik daran. Frankfurter Rundschau

Die Regierungen haben zu lange die Illusion von der Bundeswehr als bewaffneter Pfadfinder-Truppe gepflegt. Damit ist es nach der Tanklastzug-Attacke endgültig vorbei. Die Amerikaner – die massive deutsche Kritik an ihnen im Ohr – können ihre Schadenfreude kaum verhehlen: Auch die guten Deutschen seien verantwortlich für den Tod von Zivilisten. BILD

Eher unbemerkt bauen die Gewerkschaften, und hier insbesondere die IG Metall, ihre Macht aus. Dieses Ergebnis unserer Titelstory ist überraschend – denn häufig geht man davon aus, dass in Zeiten wachsender Arbeitslosigkeit die Beschäftigten eher eine schwache Position haben. Aber Unternehmen im Überlebenskampf sind meist noch schwächere Verhandlungspartner. Wirtschaftswoche

The politics of death. Americans fear health reform because they fear the Reaper Economist