Koalitionsverhandlungen, SPD, Sarrazin, Finanzmärkte & Iran

Schwarze und Gelbe freuen sich übers Klima. Die Kontroversen sind groß. Doch Union und FDP versuchen, dies am ersten Tag der Koalitionsgespräche zu überspielen. Alle loben die gute Atmosphäre Die Zeit

Merkel und Westerwelle wollen mit ihren Koalitionsverhandlungen die Wiederwahl der schwarz-gelben Landesregierung in NRW im nächsten Jahr nicht gefährden. Die schwarz-gelb regierten Länder besitzen derzeit eine Bundesrats-Mehrheit von zwei Sitzen. Die Welt

Es gibt etwas zu verteilen – mit dieser Botschaft starten Union und FDP ihre Gespräche über das Regierungsprogramm. Das ist eine gefährliche Ansage, weil sie auf Halbwahrheiten beruht. Frankfurter Rundschau

Die schwarz-gelbe Angst vor dem Wähler. Union und FDP können in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik eine Wende zum Besseren einleiten, wenn sie nicht gleich zu Beginn den Mut verlieren. Die ersten Anzeichen deuten aber genau darauf hin. Handelsblatt

Trotz des heißen Wunsches, gemeinsam zu regieren, dürfte es bei der Fülle der unterschiedlichen Meinungen und Interessen äußerst schwierig werden, zu tragfähigen und vor der eigenen Klientel verantwortbaren Kompromissen zu gelangen. Denn viele Wünsche stoßen sich an der Realität blanker Tatsachen. Nürnberger Zeitung

Für den Ausstieg aus dem Atomausstieg reicht nicht einfach ein Dekret. Wenn alle an einem Strang ziehen, wird von den schwarz-gelben Atomfantasien nur ein Bruchteil realisierbar sein. taz

Die FDP hat die Wahl mit Versprechungen gewonnen, die nun schwer umzusetzen sind. Die Gefahr ist groß, dass die FDP schneller entzaubert wird, als sie es selbst für möglich hält. Süddeutsche Zeitung

Aufbruch, wohin nur? Eine Koalition ist in Sicht, aber kein Projekt NRZ

Der neue UN-Bericht zur menschlichen Entwicklung rückt das Thema Migration in den Mittelpunkt. Der Bericht ist für Schwarz-Gelb eine Herausforderung. taz

Koalitionsverhandlungen sind häufig zäh, hart, aufreibend. Sie sind es fast zwangsläufig. Es geht um Interessen, um Macht. Nebenbei werden spätere Rollenkonflikte eingeübt, Sollbruchstellen ausgemacht. Westfälische Rundschau

Die FDP kann in einer schwarz-gelben Koalition soziale und liberale Politik neu definieren. Die Partei muss aber aushalten, dass sie trotz neuer Stärke der kleinere Partner im Regierungsbündnis bleibt. Kölner Stadt-Anzeiger

Union und FDP lächeln die Streitthemen weg. Viel ist von Partnerschaft die Rede, von überbrückbaren Meinungsverschiedenheiten. Doch das Ringen um Kompromisse wird hart – und der Spielraum für die Steuerversprechen ist klein. Spiegel

Schwarz-Rot ist zu Ende, Schwarz-Gelb hat den Regierungsauftrag. Dennoch ist von einem radikalen Politikwechsel in Berlin nicht viel zu sehen. Der Eishauch, der nach Ansicht vieler Schwarz-Gelb-Kritiker jetzt durch die Gesellschaft ziehen müsste, ist bislang ausgeblieben. Hannoversche Allgemeine

Was jetzt auf uns zukommt. In Berlin läuft der Politikbetrieb erst langsam an. Aber bei Beschäftigten und Unternehmen wachsen Sorgen und Hoffnungen bereits beträchtlich: Branchen mit starkem Staatseinfluss müssen sich auf mehr Wettbewerb einstellen. Wirtschaftswoche

SPD

Nur 77 Prozent für Gabriel. Trotz vereinzelter Kritik haben die Führungsgremien der SPD den Absprachen über die künftige Parteispitze zugestimmt. Im Vorstand erhielt der bisherige Umweltminister Sigmar Gabriel, der die SPD führen soll, jedoch nur 77 Prozent der Stimmen. FAZ

Der SPD hat noch lange nicht die letzte Stunde geschlagen. In der Opposition wird es ihr gelingen, besonders der „Linken“ die Wähler streitig zu machen. Schon lange sieht sie „Die Linke“ wieder als „Fleisch vom Fleische der SPD“ (Steinmeier). Die Welt

Sigmar Gabriel und die Frage: Was ist links? Der designierte SPD-Chef Gabriel sucht das Gespräch mit der Basis. Er will den Charakter der Partei als Volkspartei retten und sagt der Linken den Kampf an. Die konkurrierende Partei definiere nicht, was links ist. Süddeutsche Zeitung

Finanzkrise bei den Genossen. Sigmar Gabriel soll die SPD als Parteichef aus der Krise führen. Doch neben der Sinnkrise nach dem Wahldesaster hat die neue Führung auch ein Finanzproblem. Der Wahlkampf war teurer als geplant und nun brechen auch die Einnahmen weg. Wirtschaftswoche

Christoph Matschie flüchtet sich in die Arme der CDU: Das wird ihm seine Partei nicht nachsehen. Tagesspiegel

Dass die SPD einen Spitzenverkäufer in ihren Reihen hat, weiß die Partei schon lange. Seit fast zwanzig Jahren empfiehlt sich Sigmar Gabriel mit einschlägigen Talenten. Nun wählen die Genossen mit ihm ausgerechnet einen Schröderianer zum Vorsitzenden FAZ

Sarrazin-Äußerungen

Indirekt spielt Sarrazin mit dem Vorwurf, in Deutschland dürfe man nicht sagen, was man denkt. Auch das ist oft ein Spruch Radikaler. Sie reden so, um als Opfer von „Denkverboten” interessanter, wichtiger zu wirken: Sarrazin macht ihr Gedankengut hoffähig – ob er es will oder nicht. WAZ

Jeder hätte wissen können: Wer Sarrazin in den Bundesbank-Vorstand schickt, könnte genauso gut auch Hape Kerkeling zum Bundesverfassungsrichter ernennen. Süddeutsche Zeitung

Die Aufregung ist groß über Thilo Sarrazin. Ein Interview über seine Erfahrungen als Berliner Finanzsenator verstört viele. Seine Wortwahl („Kopftuchmädchen“, „türkischen Wärmestuben“) empfanden nicht nur Ausländer als verletzend. In der Sache aber widerspricht ihm kaum jemand – wie auch? Die Welt

Bundesbank-Chef Axel Weber hat Sarrazin zu einer Entschuldigung genötigt, um den Schein zu wahren. Nur darum geht es. Bloß nicht die Dinge beim Namen nennen – das ist auch das Motto in der Ausländerpolitik. Sarrazin ist ihr jüngstes Opfer. Stuttgarter Nachrichten (Print)

Finanzmärkte

Und wieder grüßt das Monster. So richtig Angst bekommt man nicht, wenn der Bundespräsident nun wieder einmal gegen die unersättlichen internationalen Finanzmärkte zu Felde zieht. Horst Köhler sieht das „Monster“, das er schon vor Jahren erspäht hatte, „noch nicht auf dem Weg zur Zähmung“. FAZ

Die Zentralbanken stehen vor einem Dilemma: Wie lassen sich Vermögenspreisblasen verhindern, ohne die Konjunktur abzuwürgen? Die Antwort gibt es bereits, sie muss nur etwas entstaubt werden. Financial Times Deutschland

Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wird eine Bank zu 100 Prozent verstaatlicht, und darüber mag sich mancher aufregen. Doch jene protestierenden Aktionäre haben nicht das Geringste dazu beigetragen, die HRE aus dem Strudel der Finanzkrise zu retten. Das waren allein die Steuerzahler. FAZ

Düstere Prophezeiung. Wie ernst sollte man den Rat eines Mannes nehmen, der das Entstehen, das Ausmaß und die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise ziemlich exakt vorausgesagt hat? Wirtschaftswoche

Iran

Humanitäre Geste mit Hintergedanken. Die von Iran verheimlichte Nuklearanlage in Ghom soll Ende Oktober inspiziert werden – Im Gegenzug will der Westen Teheran angereichertes Uran liefern: Ausgerechnet dieser Handel weckt nun zaghafte Hoffnungen auf eine Wende im Atomstreit. FAZ

An der Schwelle. Die iranische Führung ist in der Atomfrage verhandlungsbereit, weil sie die politische Anerkennung braucht. Tagesspiegel

Das lässt aufhorchen: Iran lenkt ein im Atomstreit, gibt die Existenz einer bisher geheimen Versuchsanlage bei Ghom zu und ist offenbar bereit, Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ins Land zu lassen. Nürnberger Nachrichten

Verhandeln, bestrafen oder bombardieren? In den USA bricht nach den Genfer Gesprächen mit iranischen Unterhändlern eine Diskussion über die richtige Strategie aus. Präsident Obama ist im Zwiespalt, die Skepsis gegenüber Zugeständnissen im Atomkonflikt groß – Hardliner fordern einen Militärangriff. Spiegel

… one more thing!!

Weiche Landung? Denkste! Soeben sind viele Parlamentarier arbeitslos geworden. Gar nicht so einfach, ins normale Leben zurückzufinden. Frankfurter Rundschau

Leitartikel

Mehr als ein Burgfrieden. In der neuen SPD-Führung soll zusammenwachsen, was einander bisher gestört hat. Rechts und links, West und Ost, Gabriel und Nahles, alles wird eins – bis zum Beweis des Gegenteils Frankfurter Rundschau

Koalitionsverhandlungen, ärgerliche Kämpfe auf absurden Nebenkriegs-Schauplätzen – AZ-München

Die deutsche Sozialdemokratie steckt mit ihrer neuen Führung in der Zwickmühle. Weiter nach links und weg von den eigenen Reformen? Oder Konzentration auf die Mitte der Gesellschaft? BILD

Die Sozialdemokratie sei am Ende, heißt es allenthalben.Mit dramatischem Blick wird auf das jüngste Wahlergebnis verwiesen, Ralf Dahrendorfs Aufsatz vom „Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts“ zitiert (und missverstanden) und dann die Misere der kränkelnden SPD dargelegt. Die Welt

Der Hochmut der Aufsteiger, die Verzagtheit der Zurückgelassenen, die Ratlosigkeit der Gewerkschafter, das alles trägt dazu bei, dass der DGB heute nur noch gut halb so viele Menschen repräsentiert wie ehedem. […] Was Gewerkschaften wert sind, erkennt man immer dort, wo es keine gibt. Süddeutsche Zeitung (Print)

Der Bundespopulist. Bundespräsident Köhler macht es sich mit seiner pauschalen Kritik an den Finanzmärkten zu leicht. Den neuen Regierenden liefert er damit einen Vorwand, ihn nicht ernst zu nehmen. Financial Times Deutschland

Weg zu neuer Machtbalance. Wenig Spektakuläres schien die diesjährige Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Istanbul zu versprechen. Vor einem Jahr lag die Tagung gerade vier Wochen nach der Lehman-Pleite. Die Nervosität war groß. Nun aber ist das akute Krisenmanagement vorbei. Börsenzeitung

Europa und die griechische Misere. Was ist das für ein Staat, den die EU seit einem Vierteljahrhundert vergeblich alimentiert? Wie es nach dem Wahlsieg der Sozialisten weitergeht in Europas südöstlichem Außenposten, geht alle Europäer etwas an. Denn dort liegt seit langem etwas im Argen. FAZ

As Europe moves on, the Tories are stuck in the past, schreibt der britische Aussenminister David Miliband in der Financial Times

The Politics of Spite. If Republicans think something might be good for the president, they’re against it — whether or not it’s good for America. New York Times

What America needs is a good enemy. An external threat is almost always a cure for national disunity. Los Angeles Times