Merkel in Afghanistan, die EU und die Türkei, Obamas Abrüstungsinitiative

Lässt man die vergangenen Tage Revue passieren, dann hat Merkel wieder einmal durch kluges außenpolitisches Agieren ihre innenpolitischen Probleme überspielt. Wahlkampf? Natürlich spielt auch der in Merkels Kalkül eine Rolle. Aber er reicht nicht als Erklärung für das Phänomen der doppelten Kanzlerin: Dieselbe Angela Merkel, die sich mit Vergnügen und Fortune auf der außenpolitischen Bühne bewegt, lässt innenpolitisch immer öfter die Dinge schleifen, findet die Frankfurter Rundschau.

Wichtiger ist festzuhalten, dass Merkels Besuch nicht mehr als eine nette Geste an die Adresse der Soldaten war. Die Kanzlerin betrieb in Kundus und Masar-i-Sharif dieselbe Symbolpolitik wie zuvor beim Nato-Gipfel, meint die Berliner Zeitung

Auch dafür setzt Merkel mit ihrer Reise kurz nach dem Nato-Gipfel und ihren Gesprächen mit Präsident Obama ein Signal: für den Ansatz der vernetzten Sicherheit“, zu der die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen gehört. Das erscheint auf Dauer erfolgversprechend. Raketenangriffe schrecken davon nicht ab, sondern zeigen eher, was die Angreifer fürchten, bemerkt hingegen der Tagesspiegel.

Groteskerweise sollte jenes Gesetz, das Frauen an jedem vierten Tag zum Sex mit ihrem Mann verpflichtet, Vielehen verhindern und mithin weibliche Rechte stärken. Bei aller berechtigten Empörung fällt indes die Lesart, Afghanistan legalisiere Vergewaltigungen in der Ehe, im Westen auf fruchtbaren Boden. Dass Bundeswehrsoldaten aus humanitären Gründen für solche Menschen ihr Leben riskieren, ist immer mehr Deutschen kaum zu vermitteln, so der Mannheimer Morgen.

Ein geschickter Schachzug. Kurzerhand beendete Angela Merkel die Obama-Festspiele in Europa und zeigt überraschend in Afghanistan Flagge. Mit „ich war grad´ da“ kann sie die auch an die Deutschen gerichtete Forderung nach mehr Engagement in die richtige Richtung lenken. Schließlich zählte die Bundeswehr zu den Ersten, die sich aus Kabul herauswagten, um den Einfluss der Regierung über die Hauptstadt auszudehnen – durch zivile Aufbauprojekte. Heute wissen auch die Amerikaner, wie richtig dies war, urteilt die Thüringer Allgemeine.

Schon jetzt ist die Unterstützung in der Bevölkerung für den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan nicht gerade groß. Der Besuch der Kanzlerin war da immerhin eine Geste. Die Raketeneinschläge kurz nach Merkels Weiterreise gestern haben jedoch einmal mehr vor Augen geführt, wie prekär die Sicherheitslage in Afghanistan trotz aller Anstrengungen immer noch ist, meint die Schweriner Volkszeitung.

Die Türkei bewirbt sich bei der EU als Mitglied, nicht als Botschafter der muslimischen Welt. Die Zweifel daran, ob dies der türkischen Regierung klar ist, hat sie in den vergangenen Tagen beim Nato-Gipfel in Baden-Baden und Straßburg nach Kräften geschürt, befindet die Süddeutsche Zeitung.

Ankara wird ja nicht müde, seine Brückenfunktion zwischen Orient und Okzident hervorzuheben. Nun lässt sich die geostrategische Bedeutung der Türkei kaum leugnen. Mehr Zweifel darf man bei der türkischen Mittlerrolle haben. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat sich im Westen für Interessen der muslimischen Welt eingesetzt und zuweilen lautstark Forderungen gestellt. Als eben so entschiedener Vertreter westlicher Anliegen in der muslimischen Welt ist er hingegen nicht hervorgetreten, urteilt Die Welt.

Auch wenn es vielen westeuropäischen Staaten nicht passt: Die Türkei baut ihre politische Rolle auf der internationalen Bühne systematisch aus. Unter der fromm-konservativen Regierung Erdogan hat die muslimisch, aber säkular strukturierte Türkei eine Führungsrolle in der islamischen Welt übernommen, so der Tagesspiegel.

Den Europäern aber müsste schon die Vorschau reichen, die Ankara im Streit um Rasmussen in der Nato auf den Spielplan setzte: Wie es also sein könnte in der EU, wenn die Türkei sich auch dort zum Interessenvertreter der muslimischen Welt machte, sei es auf dem Felde der Meinungsfreiheit (Karikaturen) oder bei jedem anderen innenpolitischen Thema von Gewicht. Wer in Brüssel mitregiert, regiert auch in Berlin mit. Kann es tatsächlich sein, dass man das nur in Paris begreift, fragt sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Leitartikel

Die Nüchternheit ist vorbei: Präsident Obama holt den Idealismus in die Politik zurück – und entwirft ein Programm, das nicht in den Bedingungen der Gegenwart gefangen bleibt. Süddeutsche Zeitung

Der Kalte Krieg hat die nukleare Abschreckung als Überlebensgarantie etabliert. Deshalb dürften die Militärbürokraten angesichts der Vision Präsident Obamas von einer Welt ohne Atomwaffen den Kopf schütteln. Denn der Rüstungswettlauf ist immer noch real – wenn auch an anderer Stelle. Frankfurter Allgemeine Zeitung

Obama geht auf Ankara zu und sucht den Dialog mit der islamischen Welt. Auch Europäer und Türken sollten alte Denkmuster durchbrechen und emotional und verbal abrüsten. Frankfurter Rundschau

Merkels Besuch in Kundus ist ein Signal an die deutsche Öffentlichkeit und den Nato-Partner. Die Bundeskanzlerin unterstreicht den Willen zu größerem deutschen Engagement – sie wird beizeiten sicherlich daran erinnert, so die Financial Times Deutschland

Die 600 Soldaten, die Berlin in diesem Sommer zusätzlich entsenden will, um die Wahlen abzusichern, sind ein positiver Schritt. Doch ausreichend ist dieser Schritt ebenso wenig wie die Hoffnung, die Bundesregierung könne ihrer Mitverantwortung gerecht werden, wenn sie nun das Scheckbuch zückt und zusätzliche Aufbauarbeit mitfinanziert. WAZ

Es ist eine in diesen Tagen viel gehörte Meinung: Die menschliche Gier hat uns in die Krise gestürztnun sollten wir weniger konsumieren und bescheidener leben. Doch dahinter steckt eine Milchmädchenrechnung. Viele Menschen begreifen einfach nicht, wie Wirtschaft funktioniert. Die Welt

Wieder diskutiert Deutschland einen sogenannten „Ehrenmord“. Wieder geht es um eine muslimische Familie, die seit Jahren hier lebt, unser Sozialsystem in Anspruch nimmt – aber unser Wertesystem mit Füßen tritt. Und wieder kommt immer Ungeheuerlicheres heraus. BILD

On his European tour, Mr Obama cemented the impression that he is an unusually gifted and intelligent politician. But that does not mean he will succeed. Financial Times

A nation of jailbirds: Far too many Americans are behind bars. Ecconomist