Westerwelle, Leiharbeiter, Iran, BP, Brände in Russland & Führerschein

Heute ein König, morgen ein Prinz Guido Westerwelle ist wieder da – als Interims-Regierungschef leitet er seine erste Kabinettssitzung. Angesichts der Umfragewerte für seine FDP könnte dieser Westerwelle-Mittwoch für den Kanzler der Reserve selbst therapeutisch wirken. Süddeutsche Zeitung

Was Westerwelle mit Ballack gemein hat Irgendwas Auffälliges am gestrigen Mittwoch? Eher nicht. Mittelguter Sommertag, ein wenig Krisenpause, nicht mal Fußball – Deutschland gibt sich dem Flip-Flop-Feeling hin. Für den Bundesaußenminister, Vizekanzler und FDP-Chef war dieser Mittwoch allerdings ein historischer, der Tag des Neustarts, der Beginn von Westerwelle 2.0. Berliner Morgenpost

Aus dem Leben eines Eintagskanzlers „Hauptsache, es läuft gut“: Für FDP-Chef Guido Westerwelle durfte in Abwesenheit der Bundeskanzlerin die Kabinettssitzung leiten. Viel zu entscheiden gab es nicht, aber er konnte zu den Hauptstadtjournalisten reden. Und die wissen: Der Eintagskanzler hat übermenschliche Verantwortung gespürt. Süddeutsche Zeitung

Ersatzkanzler auf Baldrian War das der Höhepunkt seiner Karriere? Weil die Chefin im Urlaub ist, durfte Guido Westerwelle eine Kabinettssitzung leiten. Danach drängte es ihn zum Mikrofon. STERN

Die FDP in der Krise Eine Partei im Verfall: Obwohl Außenminister und damit eigentlich qua Amt ein Sympathieträger, hat es Guido Westerwelle in nur zehn Regierungsmonaten geschafft, sich und seine FDP aus einer triumphalen Zustimmung in die politische Existenznot zu führen. Gerade einmal fünf Prozent der Wähler können sich derzeit noch für die Freidemokraten erwärmen. Lausitzer Rundschau

Leiharbeiter

Nachholbedarf der Leiharbeiter Nicht jedes Auf und Ab der Konjunktur müssen die Löhne nachvollziehen – doch da die Verdienste seit Jahren schwächer steigen, müssen Gewerkschafter und Wissenschaftler nachdrücklich Mindestlöhne fordern. Frankfurter Rundschau

Zu wenige bleiben kleben Es ist ein sicheres Zeichen dafür, dass die Konjunktur wieder anzieht, wenn die Anzahl der Leiharbeiter im Land in nur einem Jahr um 25 Prozent zunimmt. Vor allem, weil sich viele Firmen mit Kurzarbeit über die Krise gerettet haben. Märkische Allgemeine

Nach der Krise ist vor der Krise So vielversprechend die Meldungen aus der Wirtschaft klingen, so wahrscheinlich ist, dass der Boom nur von kurzer Dauer ist. Das Festhalten an extremer Exportabhängigkeit ist keineswegs allein Ausdruck der Überlegenheit deutscher Produkte, sondern vor allem eine Folge der Lohndrückerei. Tagesspiegel

Iran

Ahmadinedschad, eine Explosion und viele Fragen Berichte vermuten einen Anschlag auf Irans Präsidenten. Staatliche Medien wiegeln ab: Es sei nur ein Freudenböller gewesen. WELT

Ahmadinedschads Tod hätte nichts gebracht Dieser Mann verdient kein Mitgefühl, weder als Mensch noch als Frontfigur eines diktatorischen Regimes. Trotzdem darf und soll man kein Attentat auf ihn befürworten. Berliner Zeitung

Warnung für den Tyrannen Angesichts der strikten iranischen Medienkontrolle wird wohl ungeklärt bleiben, was da gestern in der Stadt Hamedan in unmittelbarer Nähe von Präsident Mahmud Ahmadinedschad explodierte. Ob es ein „Feuerwerkskörper“ war, wie die offizielle Sprachregelung inzwischen lautet, oder ob es tatsächlich einen Anschlag auf den Präsidenten des Iran gab. WELT

In die Enge getrieben Die widersprüchlichen Reaktionen in Teherans Führung auf das scheinbare Attentat lässt auf tiefe Verwirrung und Unsicherheit in der Regierung der Islamischen Republik schließen. Frankfurter Rundschau

Wahrheiten Mit Nachrichten aus dem Iran ist das so eine Sache. Die Quellenlage bleibt trübe, die Situation ist unübersichtlich. Das war schon beim blutigen Bombenanschlag Mitte Juli auf eine Moschee so. Und das hat sich auch gestern bei der Detonation in der Nähe von Präsident Mahmud Ahmadinedschad nicht geändert. Hannoversche Allgemeine

Der Bumerang In Iran ist am Mittwoch mit dem tatsächlichen oder vermeintlichen Attentat auf Präsident Mahmud Ahmadinedschad womöglich ein Tyrannenmord gescheitert. Leider. Bonner General-Anzeiger

Ölleck dicht!

BP darf Ölquelle zementieren Die amerikanische Regierung hat nun zugestimmt, das Ölleck im Golf von Mexico endgültig mit Zement zu versiegeln. Zuvor hatte BP das Leck erfolgreich durch Schlamm verschlossen. Die zweite Stufe des „Static Kill“ soll noch am Donnerstag beginnen. FAZ

Die Ölpest verliert ihr dreckiges Gesicht Ein US-Regierungsbericht erklärt den Großteil des Öls im Golf von Mexiko für beseitigt. Ein Trugschluss. Das Ausmaß des Desasters ist nicht annähernd verstanden. ZEIT

Öl in Thunfisch Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.“ Diese Worte aus Goethes „Zauberlehrling“ stehen für die Urangst des Menschen, von ihm entfesselte Kräfte könnten sich sodann als unbeherrschbar erweisen. Die Ablehnung von Kernenergie und Gentechnik hat etwas mit dieser Furcht vor Irreversibilität zu tun. WELT

Volkes Versagen Bei den Schuldzuweisungen nach der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko wird ein Hauptverantwortlicher vergessen: die US-Öffentlichkeit. Financial Times Deutschland

Das Risiko bleibt Wenn die Angaben von British Petrol stimmen, und das ist ja lei- der nicht immer so, dann scheint die größte bekannte Ölpest der Geschichte vor- dergründig ein Ende gefunden zu haben. Die ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Austrittes von knapp fünf Millionen Barrel Rohöl in den Golf von Mexiko freilich werden die Anrainer und auch den Konzern noch über Jahre belasten. Märkische Allgemeine

Die Rechnung bitte! Wer zahlt für die Ölkatastrophe? BP, die Branche und wir alle! Denn das schmutzige Geschäft funktioniert nur, weil wir Plastik und Treibstoff billig haben wollen. taz

Brände in Russland

Der Geruch der Katastrophe Moskau ist eingeschlossen von einem Ring aus Feuer. Immer näher rücken die Brände, und ihr Rauch zieht bis in die U-Bahn-Schächte. Süddeutsche Zeitung

Brandkatastrophe legt Russlands Schwächen bloß Die Feuergefahren waren lange bekannt – Aber für Provinzpolitiker zählt der Bürger oft weniger als die Angst vor Moskau. WELT

Führerschein mit 17

Freie Fahrt mit Anstandswauwau Schon im nächsten Jahr können Jugendliche im Alter von 17 Auto fahren, allerdings nur mit Begleitung. Das sieht der Gesetzentwurf von Verkehrsminister Peter Ramsauer vor. Die neue Regelung soll ab dem 1. Januar 2011 gelten, billiger wird der Führerschein dadurch nicht. STERN

Freie deutsche Jugend Führerschein mit 17 Jahren? Das Bundeskabinett hat Ja gesagt, und wenn der Bundestag zustimmt – und wer unter den frei gewählten Volksvertretern wollte es sich schon mit den jungen Leuten verderben? -, dann können ab nächstem Jahr minderjährige Fahr-Aspiranten nach bestandener Prüfung den begehrten „Lappen“ erhalten – der längst zu einer Plastikkarte geworden ist. WELT

Nur konsequent Es mag Ausnahmen geben. Aber in der Regel fiebern junge Menschen dem Moment entgegen, selbst Auto fahren zu dürfen. Das ist schließlich ein symbolträchtiger Akt, der allen signalisiert: endlich 18! Bonner General-Anzeiger

Spaß in Begleitung Der alte Hit klingelt einem nach der gestrigen Entscheidung des Bundeskabinetts über das begleitete Fahren mit 17 wieder in den Ohren: „Ich geb‘ Gas, ich will Spaß.“ Spaß in Begleitung freilich. Lausitzer Rundschau

Erfolgreiches Modell Politische Prozesse ähneln oft eher einer langen Autobahnfahrt als einem Ampelsprint. So auch beim Führerschein mit 17. Die sinnvolle Idee, jungen Fahrern einen alten Hasen an die Seite zu setzen, brauchte geschlagene zehn Jahre, um Wirklichkeit zu werden. Märkische Oderzeitung

Prüfung für Alte Darf man 17-jährigen, unreifen Teenagern erlauben, sich ans Steuer eines Autos zu setzen und loszufahren? Ist das nicht eine große Gefahr für alle anderen Autofahrer, Radler und Fußgänger? Ist es nicht, hat Verkehrsminister Ramsauer nun ermitteln lassen. Im Gegenteil. Tagesspiegel

…one more thing!

Blume im Revier Margot Käßmann übernimmt die Max Imdahl-Gastprofessur in Bochum. Die Professur bietet ihr ausgezeichnete Möglichkeiten, in die Rolle eines „public intellectual“ zu schlüpfen, ohne die Interessen einer Institution vertreten zu müssen. FAZ

Leitartikel

Dokument der Anmaßung Die Vertriebenen-Charta wurde vor 60 Jahren verabschiedet. Zu den Autoren gehören auch Ex-Nazis. Der Bund der Vertriebenen muss sich endlich der eigenen Geschichte stellen. Frankfurter Rundschau

Schatten der Vertreibung Die historische Entfaltung der Europäischen Union lässt das schaurige Zeitalter des Nationalismus gerade in den Nebeln der Geschichte versinken. Süddeutsche Zeitung (Print)

Vertrautes völkisch-dumpfes Gelände Viele Vertriebenenfunktionäre verurteilen im ersten Satz das Naziregime, im zweiten relativieren sie seine Verbrechen. So entzeihen sie dem BdV die Legitimation. taz

Doch der Zukunft zugewandt Es gibt historische Zeugnisse, die auch 50 oder 500 Jahre nach ihrer Entstehung noch so hell strahlen wie am ersten Tag. Die kurze amerikanische Verfassung gehört ebenso dazu wie die Magna Charta oder, wechselt man das Genre, das Lied der Deutschen…. WELT

Zum Wohle des Kindes! Es war ein Urteil, das Hunderttausende Männer jubeln ließ. […] Aber: Wer Rechte hat, der hat auch Pflichten! Und die Statistik zeigt, dass zumindest manche Männer die Pflichten gern umgehen: Eine halbe Million Väter zahlen keinen Unterhalt. Sorgerecht heißt: Wenn mein Kind mich braucht, muss ich da sein! Auch wenn es manchmal Stress, Ärger und Verzicht bedeutet. Jeder Vater, der nun vor Gericht zieht, sollte das wissen. Zum Wohle seines Kindes. BILD

Spende und rede drüber US-Unternehmer setzen ein Zeichen der Großzügigkeit. Die Frage drängt sich auf: Warum nicht auch hierzulande? Hier wird das Wohlergehen der Bürger eher als Sache des Staates gesehen. Financial Times Deutschland

Ablenkungstheater Die Befürchtung, dass es zwischen Venezuela und Kolumbien wegen des jüngsten Streits zu einem Waffengang kommen könnte, ist unbegründet. Das Ablenkungstheater beider Präsidenten verschleiert den Kern des Konflikts: Die kolumbianische Guerrilla. FAZ

Die wahre Katastrophe Die Folgen für Mensch und Natur werden erst in Jahren beseitigt sein. Dennoch lässt sich BP dafür feiern, dass sie das Loch gestopft haben. AZ

Wüstenstromprojekte, die sich ergänzen müssen Desertec und Mittelmeer-Solarplan: Wenn Wirtschaft und Politik zusammenfinden, steigen die Chancen für afrikanischen Wüstenstrom in Europa. ZEIT

Unkalkulierbares Risiko
Laura Dekker, die erst 14-jährige Weltumseglerin, hat sicher ein ganz anderes Verständnis vom und Verhältnis zum Meer als der Großteil der Teenager. Sie wurde auf einer Weltreise ihrer Eltern auf einem Segelschiff geboren. WAZ

Putin’s Desperate Crackdown No cordons can stop Russians‘ growing awareness that their everyday problems cannot be addressed by an authoritarian system. Wall Street Journal